Leitsatz
Der gemeinsame Wille der Ehegatten zur Ersatzerbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament bei Vorversteben des zum Schlusserben benannten ist durch Berücksichtigung aller in sowie außerhalb der Urkunde erkennbaren Umstände zu ermitteln. Hierbei kommt es insbesondere auf die Lebensumstände der Eheleute und deren Interessenlage zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an. Handelt es sich bei dem weggefallenen Schlusserben um den Stiefsohn des einen Ehegatten und einzigen leiblichen Sohn des anderen Ehegatten, so ist wahrscheinlich, dass die Ehegatten den Abkömmling des vorverstorbenen Schlusserben ersatzweise bedenken wollten. Hiergegen spricht auch nicht zwingend, dass die Ehegatten nach dem Vorversterben des ursprünglich Bedachten keine neue Schlusserbenbestimmung getroffen haben.
OLG München, Beschluss vom 24. April 2017 – 31 Wx 128/17
Sachverhalt
Die Erblasserin verstarb am XXX im Alter von XXX Jahren. Sie war in einziger Ehe mit dem am XXX vorverstorbenen XXX verheiratet. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Die Erblasserin hatte auch keine außerhalb der Ehe geborenen Kinder und niemanden als Kind angenommen. Aus der ersten Ehe ihres vorverstorbenen Ehemannes ging der am XXX verstorbene XXX hervor. Der Beteiligte zu 3, geb. XXX, ist dessen Sohn. Die Erblasserin hatte zwei Geschwister; zum einen die am XXX vorverstorbene XXX, deren Abkömmlinge sind die Beteiligten zu 1 und 4, sowie einen Bruder, den Beteiligten zu 2. Es liegen folgende letztwillige Verfügungen der Erblasserin vor:
1. Ein von ihrem vorverstorbenen Ehemann niedergeschriebenes und von ihr unterschriebenes gemeinschaftliches Testament, das wie folgt lautet:
Zitat
"Erbvertrag! "
Wir setzen uns gegenseitig als alleinige Erben in der Weise ein, daß der Überlebende Vollerbe sein soll. Wer Längstlebende von uns soll von meinem Sohn XXX, geb. am XXX beerbt werden.
Ort, den 21.3.1976
Unterschrift (Ehemann)
Ort, den 21.3.1976
Unterschrift (Erblasserin)
2. Mit Testament vom 28.02.2007 setzte die Erblasserin die Beteiligten zu 1 und 2 zu Erben zu je 1/2 ein.
3. Mit Testament vom 12.06.2016 bestimmte die Erblasserin die Beteiligte zu 1 zu ihrer Alleinerbin. Außerdem findet sich in dem Testament folgender Satz: “Mein erstes Testament ist ungültig!“.
Mit Beschluss vom 23.2.2017 stellte das Nachlassgericht die Tatsachen auf Erteilung eines Alleinerbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 1 vom 13.12.2016 fest. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 3.
Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Zu Unrecht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbfolge nach dem von der Erblasserin errichteten Testament vom 12.6.2016 bestimmt. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts ist das Testament unwirksam, weil es gegen die von der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehegatten am 21.3.1976 errichteten gemeinschaftlichen Testament ausgehende Bindungswirkung dort getroffener wechselbezüglicher Verfügungen verstößt (§§ 2270, 2271 Abs. 1 S. 2 BGB) und das Recht des an die Stelle des weggefallenen (Schluss)Erben tretenden Ersatzerben (= Beteiligter zu 3) beeinträchtigen würde (vgl. § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB in entsprechender Anwendung). Demgemäß ist der Antrag der Beteiligte zu 1 auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückzuweisen.
1. Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass die in dem gemeinschaftlichen Testament angeordnete Schlusserbeneinsetzung des Stiefsohns der Erblasserin infolge dessen Vorversterbens hinfällig ist, und sich daher die Frage der Wechselbezüglichkeit einer (etwaigen) Ersatzerbfolge erst nach deren Feststellung stellt. Ob die Ehegatten eine Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 BGB angeordnet haben, ist nämlich nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden (vgl. dazu OLG München FamRZ 2010, 1846 mwN). Dies setzt aber zunächst voraus, dass die einzelnen Verfügungen ermittelt und festgestellt werden. Erst wenn dies der Fall ist, kann sich die Frage anschließen, ob einer bestimmten Verfügung Wechselbezüglichkeit beizumessen ist. Dabei stellt die Ersatzerbeneinsetzung im Verhältnis zur Einsetzung des zunächst bedachten Erben eine selbständige, gesonderte Verfügung dar. Die Wechselbezüglichkeit der Ersatzberufung, und nicht diejenige der Einsetzung des weggefallenen Schlusserben, steht insofern inmitten. Die von dem Nachlassgericht herangezogenen Grundsätze des BGH in seiner Entscheidung vom 16.01.2002 (sog. Kumulationsverbot der Auslegungsregeln der § 2069 BGB und § 2270 Abs. 2 BGB) kommen somit erst zum Tragen, sofern sich im Wege der Auslegung kein individueller Erblasserwillen in Bezug auf eine Ersatzerbfolge im Falle des Wegfalls des eingesetzten Schlusserben feststellen lässt.
2. Eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung findet sich in dem gemeinschaftlichen Testament nicht. Sie ergibt sich jedoch entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts im Wege individueller (ergänzender) Auslegung.
a) Die ergänzende Auslegung setzt voraus, d...