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Die Europäische Erbrechtsverordnung (EUErbVO) vom 4. Juli 2012 findet auf "die Rechtsnachfolge von Todes wegen" (Art. 1 Abs. 1 EUErbVO) aller Personen Anwendung, die am 17. August 2015 oder danach (Art. 83 Abs. 1 EUErbVO) verstorben sind. Das nach den Regeln des Kapitel III EUErbVO bezeichnete Recht ist gem. Art. 20 EUErbVO auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Erbfälle "mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat" (vgl. z. B. Art. 3 EGBGB oder Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO) enthält die Verordnung nicht. Damit stellt sich die Frage, welche Auswirkungen sich aus der Erbrechtsverordnung für rein nationale Fälle ergeben werden.
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Werner hat schon frühzeitig geheiratet und mit seiner Frau zwei Kinder bekommen. Die Ehefrau brannte in den frühen Achtzigerjahren mit Werners bestem Freund durch, verschwand in einem indischen Ashram und ließ ihn mit den beiden Kindern sitzen. Seitdem ist Rita bei Werner. Rita kümmerte sich zunächst um die Kinder, später auch um Werner. Ein befreundeter Rechtsanwalt wies Werner nun darauf hin, dass Rita nach seinem Tode quasi auf der Straße sitze, da das Haus und alles andere an die Kinder gehe. Zur Lösung empfahl er: Heirat oder Erbvertrag. Eine zweite Heirat kam für Werner nicht in Betracht. Er ließ sich daher von seinem Freund ein Formular für einen Erbvertrag ausdrucken, in dem sich Werner und Rita gegenseitig zu Erben einsetzen. Da Werner staatlichen Institutionen misstraute, verzichteten Werner und Rita auf die notarielle Beurkundung und unterschrieben den Printout am Küchentisch.
Werner stirbt am 3. September 2014. Rita zieht zu einer Freundin nach Edinburgh. Als sie das Haus verkaufen will, behaupten Werners Kinder, sie seien gesetzliche Erben geworden. Rita dürfe in dem Haus wohnen, es aber nicht versilbern.
1. Wirksamkeit des Erbvertrags nach der aktuellen Rechtslage
Die Lösung dieses Falles macht nach dem aktuell geltenden Recht keine Probleme: Für die Erbfolge nach dem Tod von Werner gilt gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit das deutsche Recht. Dieses Recht regiert gem. Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB auch die Gültigkeit und die Bindungswirkung einer Verfügung von Todes wegen, einschließlich eines Erbvertrags. Insoweit galt zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags wegen der beiderseitigen deutschen Staatsangehörigkeit von Werner und Rita deutsches Recht. Der Abschluss des Erbvertrags war danach möglich. Nachträgliche Entwicklungen – also z. B. der Umzug von Rita nach Schottland – können sich nicht auswirken, da Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB die Anknüpfung des auf die Wirksamkeit des Erbvertrags anwendbaren Rechts auf die Umstände zum Zeitpunkt seiner Errichtung fixiert (sog. Errichtungsstatut). Ein nachträglicher Statutenwechsel wird so ausgeschlossen. Es bleibt daher im Beispielsfall für die Wirksamkeit und die Bindungswirkung bei der Geltung des deutschen Rechts, und zwar selbst dann, wenn Rita die deutsche Staatsangehörigkeit aufgeben und die britische erwerben sollte.
Dies gilt nicht nur im Guten, sondern auch im Bösen: Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB schließt nicht nur den Verlust der Wirksamkeit durch eine nachträgliche Änderung der für die Anknüpfung maßgeblichen Umstände aus, sondern auch das nachträgliche Wirksamwerden. Eine "Heilung durch Statutenwechsel" ist also nicht möglich.
Nach dem deutschen Recht war eine vertragsmäßige gegenseitige Erbeinsetzung möglich. Rita wäre dann Alleinerbin von Werner geworden. Problematisch ist freilich die Einhaltung der gesetzlichen Formerfordernisse.
In Fällen mit Auslandsberührung beurteilt sich das auf die Formwirksamkeit anwendbare Recht nach den Vorschriften des Haager Übereinkommens über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 5. Oktober 1961 (BGBl 1965 II, S. 1145). Dessen Vorschriften sind in Deutschland im Rahmen der IPR-Reform 1986 in Art. 26 Abs. 1–3 EGBB inkorporiert worden. Mittlerweile gilt es in 43 Staaten, davon sind 16 Staaten Mitglied der Europäischen Union.
Das Haager Übereinkommen enthält in Art. 1 Abs. 1 eine Vielzahl von alternativ zum Zuge kommenden Anknüpfungen, um zu verhindern, dass ein Testament nur deswegen unwirksam ist, weil der Erblasser die Formerfordernisse einer Rechtsordnung eingehalten hat, die aus Sicht des für die nach seinem Tode über die Abhandlung des Nachlasses entscheidende Behörde geltenden Kollisionsrechts am Ende doch nicht anwendbar ist. So genügt nicht nur die Einhaltung des am Errichtungsort geltenden Rechts (lex loci actus, Art. 1 Abs. 1 lit. a Testamentsformübereinkommen), sondern auch die Einhaltung des Heimatrechts, des Wohnsitzrechts oder des am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers geltenden Rechts, und zwar jeweils nach den Umständen bei Errichtung der Verfügung und zum Zeitpunkt des Todes (Art. 1 Abs. 1 lit. b, c und d Testamentsformübereinkommen).
Gem. Art. 4 Testamentsformübereinkommen gelten diese Anknüpfungen nicht allein für einseitige Testamente, sondern auch für die Form le...