Fraglich ist, welche Folgen es haben soll, wenn divergierende Erbnachweise zirkulieren. Dabei ist zwischen echter Divergenz und unechter Divergenz zu unterscheiden.
Echte Divergenz liegt vor, wenn die Angaben im Europäischen Nachlasszeugnis und im nationalen Erbnachweis voneinander abweichen, d. h. die materielle Erbsituation unterschiedlich wiedergegeben wird. Unterschiede bei der Bewertung der erbrechtlichen Lage können sich ergeben aufgrund unterschiedlichen Verfahrensrechts und aufgrund unterschiedlichen Kollisionsrechts hinsichtlich der Wirkungen des Güterrechts auf die Erbfolge.
Wie Art. 66 zu entnehmen ist, richtet sich die Prüfung des Antrags auf Erteilung eines Zeugnisses grundsätzlich nach der lex fori der Ausstellungsbehörde. Die lex fori divergiert in den einzelnen Mitgliedstaaten. U. a. unterscheiden sich die Beweisanforderungen hinsichtlich der Erteilung eines Erbnachweises. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass auch der Inhalt eines Europäischen Nachlasszeugnisses und eines nationalen Erbnachweises divergieren.
Mit Wirksamwerden der Verordnung ist das Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten zur Bestimmung des anwendbaren Erbstatuts vereinheitlicht. Dies gilt für das Güterrechtsstatut derzeit noch nicht. Aufgrund der Divergenz der mitgliedstaatlichen Regelungen zur Bestimmung des anwendbaren Güterrechts wird bis zum Wirksamwerden der europäischen Verordnungen zur Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts in diesem Bereich im Einzelfall unterschiedliches Güterrecht im Zusammenhang mit Erbfällen berufen sein. Damit werden bei Ausstellung eines nationalen Erbnachweises in einem Mitgliedstaat und der Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses in einem anderen Mitgliedstaat möglicherweise inhaltlich divergierende Angaben zur Erbfolge und -quote ausgewiesen werden.
Hierbei handelt es sich nicht nur um ein Scheinproblem: Aufgrund der Regelungen der Verordnung zur internationalen Zuständigkeit in Erbsachen ist grundsätzlich immer nur ein Mitgliedstaat für die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses international zuständig. Dieser hat ggfs. die Frage der erbrechtlichen Qualifizierung von güterrechtlichen Ansprüchen unter Zugrundelegung des lokalen Internationalen Privatrechts zu prüfen. Die Behörden der übrigen Mitgliedstaaten sind aufgrund der Erbrechtsverordnung aber nicht verpflichtet, die Bestimmung des anwendbaren Güterrechts genauso vorzunehmen wie die Ausstellungsbehörde, die im konkreten Fall für die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses zuständig ist. Sie können (und müssen ggf.) die Frage vielmehr grundsätzlich selbstständig beantworten und das für güterrechtliche Fragen maßgebende Recht erforderlichenfalls durch selbstständige Anknüpfung bestimmen.
Denkbar ist auch, dass die unterschiedliche Qualifizierung der Auswirkungen des Güterrechts auf die erbrechtliche Situation zu divergierenden Erbnachweisen führt. Beispielsweise ist denkbar, dass die ausstellende Behörde das güterrechtliche Viertel gem. § 1371 Abs. 1 BGB abweichend von der in Deutschland herrschenden güterrechtlich-/erbrechtlichen Doppelqualifikation qualifiziert, sei es rein güterrechtlich oder rein erbrechtlich.
Mit Inkrafttreten (genauer: mit Geltung) der im Entwurf bereits vorliegenden Güterrechtsverordnungen wird sich das geschilderte Problem hinsichtlich unterschiedlicher Anknüpfung im Zusammenhang mit güterrechtlichen Fragen im Wesentlichen erledigen, wobei jedoch etwa im KOM-E (2011) 126 über das Ehegüterkollisionsrecht vorgeschlagen ist, dass das harmonisierte IPR nur für Ehegatten gelten soll, die nach Beginn der Anwendung der künftigen Verordnung die Ehe eingegangen sind oder eine Rechtswahl bezüglich des auf ihren Güterstand anzuwendenden Rechts getroffen haben.
Denkbar ist eine Divergenz zwischen Europäischem Nachlasszeugnis und nationalem Erbschein auch, wenn der Erblasser zu seinen Lebzeiten eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen war oder eine andere Form des Zusammenlebens gewählt hat, die nach ausländischem Recht zu einer Berücksichtigung von erb- und/oder güterrechtlichen Ansprüchen im Rahmen der Nachlassabwicklung verlangt. Als denkbare Ursache für divergierende Bewertungen in verschiedenen Mitgliedstaaten kann hier die Möglichkeit angeführt werden, dass von der ausstellenden Behörde die Vorfrage nach der Wirksamkeit beispielsweise einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht wie nach Art. 17b Abs. 1 S. 1 EGBGB gemäß dem Recht der Registerbehörde beantwortet wird, sondern nach der lex fori der Ausstellungsbehörde eine distributive Anknüpfung an die jeweilige Staatsangehörigkeit der beiden Partner zu beachten ist.
Unechte Divergenz liegt vor, wenn die Angaben im Europäischen Nachlasszeugnis und im nationalen Erbnachweis aufgrund der unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung von Europäischem Nachlasszeugnis und nationalem Erbnachweis voneinander abweichen, obwohl beide Erbnachweise materiell-rechtlich vom gleichen Ergebnis ausgehen. Ein Beispiel fü...