Eine unechte Divergenz mag für den Rechtsverkehr irritierend sein. Die Ursache für die Divergenz liegt in der unterschiedlichen Konzeption des nationalen Erbnachweises und des Europäischen Nachlasszeugnisses. Eine materiell-rechtlich unterschiedliche Bewertung liegt demgegenüber nicht vor.
Daher scheint es nicht geboten, bestimmte Rechtsfolgen an die unechte Divergenz der Erbnachweise zu knüpfen. Insbesondere die Gutglaubenswirkungen des nationalen Erbnachweises und des Europäischen Nachlasszeugnisses sollten von einer unechten Divergenz nicht berührt werden. Andernfalls würde die Einführung des Europäischen Nachlasszeugnisses nicht zu einer Erleichterung, sondern zu einer Erschwerung des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs führen.
Im Zweifelsfall sollte allerdings demjenigen Erbnachweis der Vorrang eingeräumt werden, dessen Inhalt im Einklang mit der lex rei sitae im Mitgliedstaat der Verwendung (Registerstaat usw.) steht. Dies wird in aller Regel der nationale Erbnachweis sein.
Anders liegen die Dinge bei echter Divergenz. Soweit das Europäische Nachlasszeugnis und ein nationaler Erbschein sich widersprechen, liegt es nahe, die Gutglaubenswirkung des Europäischen Nachlasszeugnisses entfallen zu lassen. Dies sollte jedenfalls gelten, bis die im Entwurf bereits vorliegenden Güterrechtsverordnungen Geltung erlangt haben. Bis dahin ist auf europäischer Ebene noch kein vollständiger Einklang in erbrechtlichen Angelegenheiten einschließlich der güterrechtlichen Aspekte erreicht. Ein anderes Ergebnis kann nicht dadurch erreicht werden, dass man bis zur Geltung der Erbrechtsverordnung dem güterrechtlichen Kollisionsrecht der Ausstellungsbehörde europaweit Vorrang einräumt. Dies wäre ein Vorgriff auf einen Rechtszustand, der derzeit nicht erreicht ist. Darüber hinaus würde bei einem entsprechenden Vorgehen möglicherweise einem Güterstatut der Vorrang eingeräumt, das sich mit Geltung der geplanten Güterrechtsverordnung als "unzutreffend" erweist.
Ein weiteres Argument für die Einschränkung der Gutglaubenswirkungen eines Europäischen Nachlasszeugnisses bei divergierendem nationalen Erbnachweis dürfte sein, dass das europäische Erbkollisionsrecht nicht nationales materielles Recht zur Gutglaubensregelung wie beispielsweise in § 2366 BGB unterminieren will bzw. kann. Insbesondere im Bereich des Sachenrechts sprechen die Regelung in Art. 69 Abs. 5 und ihr Verweis auf Art. 1 Abs. 2 litt. k) und l) für eine derartige Betrachtung. Die Regelung zielt auf den Schutz der lex rei sitae. Dieser Schutz würde u. U. unterlaufen, wenn das Europäische Nachlasszeugnis weitergehende Gutglaubenswirkungen hätte als ein divergierender Erbnachweis des Staates der belegenen Sache.
Soweit der nationale Erbnachweis eine abstrakte Gutglaubensregelung enthält, sollten dessen Gutglaubenswirkungen nur unter den sonstigen Voraussetzungen des nationalen Rechts entfallen (z. B. Kenntnis vom divergierenden Europäischen Nachlasszeugnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dessen Existenz), zumindest soweit nur der inländische Rechtsverkehr betroffen ist. Die Einführung des Europäischen Nachlasszeugnisses soll den Rechtsverkehr erleichtern. Mit diesem Ziel wäre es unvereinbar, wenn die nationalen Regeln der Gutglaubenswirkungen eines nationalen Erbnachweises durch das Europäische Nachlasszeugnis unabhängig von den Regelungen des nationalen Rechts aufgehoben würden.