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Mit der Europäischen Erbrechtsverordnung (ErbVO) wird ein Europäisches Nachlasszeugnis (im Folgenden auch "Zeugnis" genannt) eingeführt, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen entfaltet. Das Zeugnis soll in Erbfällen mit Auslandsbezug den Rechtsverkehr erleichtern. Im Folgenden sollen einzelne Aspekte erörtert werden, die im Zusammenhang mit dem Europäischen Nachlasszeugnis von besonderer Bedeutung sind.
A. Einführung
1. Funktion und Nutzen des Europäischen Nachlasszeugnisses
Gemäß Art. 63 dient das Europäische Nachlasszeugnis zur Verwendung durch Erben, durch Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass und durch Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben oder Vermächtnisnehmer oder ihre Befugnisse als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter ausüben müssen.
Das Europäische Nachlasszeugnis wird insbesondere in den Fällen einen praktischen Mehrwert für den Nutzer darstellen, in denen dieser nicht auf einen nationalen Erbnachweis zurückgreifen kann, der in dem Mitgliedstaat anerkannt wird, in dem er benötigt wird.
2. Rechtsnatur des Zeugnisses
Die Rechtsnatur des Europäischen Nachlasszeugnisses ist nicht eindeutig. Die Verordnung verzichtet auf eine ausdrückliche Qualifizierung des Zeugnisses. Es kann als erbrechtliches Gemeinschaftsinstrument sui generis qualifiziert werden, dessen Rechtsnatur sich nach der lex fori der Ausstellungsbehörde richtet.
Anders als noch im Kommissionsentwurf in Art. 42 Abs. 5 vorgesehen wird das Zeugnis in der Verordnung nicht mehr als gültiger "Titel" für die Umschreibung eingeordnet. Diese Korrektur des Verordnungsentwurfs ist bereits insofern naheliegend, als das Nachlasszeugnis kein Vollstreckungstitel ist.
Ohnehin ist die Frage nach der Rechtsnatur des Zeugnisses von geringer praktischer wie dogmatischer Bedeutung, weil es weder gemäß Art. 39 noch gemäß Art. 59 der ErbVO zirkuliert. Vielmehr ist seine unionsweite Zirkulation durch die in Art. 69 ErbVO vorgesehenen einheitlichen Wirkungen sichergestellt. Darüber hinaus sind die Regelungen in Art. 39 und Art. 59 ErbVO für das Zeugnis unanwendbar, da Art. 64 ErbVO – ausschnitthaft und abschließend – nur auf einzelne Vorschriften aus Kapitel II für die internationale Zuständigkeit, nicht aber auf Kapitel IV über die Anerkennung von Entscheidungen bzw. V über öffentliche Urkunden verweist.
Relevant wird die Frage nach der Rechtsnatur (v. a. als öffentliche Urkunde) dagegen für den Registerverkehr. Das Zeugnis ist jedenfalls nicht als öffentliche Urkunde iSv Art. 59 anzusehen.
Unabhängig von seiner Rechtsnatur entfaltet das Zeugnis gemäß Art. 62 Abs. 3 S. 2 die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen auch in dem Mitgliedstaat, dessen Behörden es ausgestellt haben. Einer "Anerkennung" des Zeugnisses bedarf es nicht, da es seine Wirkungen in den Mitgliedstaaten unmittelbar aufgrund der Verordnung entfaltet, Art. 69 Abs. 1.
3. Europäisches Nachlasszeugnis und Verfahrensrecht
Die ErbVO führt keine umfassenden harmonisierten Verfahrensvorschriften für die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ein. Nur punktuell macht die Verordnung verfahrensrechtliche Vorgaben, wie beispielsweise die Vorgaben für die Prüfung des Antrags durch die ausstellende Behörde, die Anforderungen an etwaige Nachweise und die Beteiligung weiterer Berechtigter. Ferner enthält die Verordnung Vorgaben hinsichtlich der Korrektur des Zeugnisses und die Rechtsmittel im Zusammenhang mit der Ausstellung. Soweit die Verordnung keine Vorgaben macht, haben die nationalen Behörden die lex rei fori als Verfahrensrecht anzuwenden.
Diese Ausgangsposition ist insofern problematisch, als unterschiedliche Verfahren zu einer unterschiedlichen Richtigkeitsgewähr führen. Angesichts der weitreichenden Wirkungen des Zeugnisses ist die Quasi-Anerkennung aller ausländischen Verfahrensstandards als gleichwertig bedenklich. Will man der EU jedoch nicht noch mehr Kompetenzen zusprechen, ist Zurückhaltung bei der Forderung nach europarechtlichen Regelungen von Verfahrensstandards geboten.
B. Internationale Zuständigkeit für die Erteilung des Zeugnisses
Art. 64 regelt die internationale Zuständigkeit für die Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses. Es wird in dem Mitgliedstaat ausgestell...