Leitsatz
Ficht ein Dritter die wechselbezüglichen Verfügungen des zuerst verstorbenen Ehegatten an, so ist er nicht durch die Regelungen des § 2285 BGB beschränkt. Diese sind für diesen Fall nicht entsprechend anwendbar.
BGH, Urteil vom 25. Mai 2016 – IV ZR 205/15
Sachverhalt
Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Alleinerbenstellung nach ihrer verstorbenen Mutter.
Die Klägerin und die Beklagte sind die beiden leiblichen Töchter des Ehepaares M. Die Eltern der Parteien errichteten am 7.4.1977 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten. Sie bestimmten die Klägerin zur Erbin des zuletzt versterbenden Ehegatten, enterbten die Beklagte und entzogen ihr den Pflichtteil. Der Vater der Parteien verfasste außerdem im Jahr 1985 ein Einzeltestament, in dem er seine Ehefrau als Alleinerbin einsetzte. Nach seinem Tod im Jahr 1995 lag dem Nachlassgericht nur dieses von der Mutter abgelieferte Einzeltestament vor. Die Mutter verstarb am 22.1.2012. Das Nachlassgericht erteilte einen Erbschein, der die Parteien je zur Hälfte als ihre Erben auswies.
Nachdem die Klägerin am 15.7.2013 das gemeinschaftliche Testament im Tresor des Elternhauses gefunden hatte, lieferte sie es beim Nachlassgericht ab und beantragte die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin der Mutter. Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 27.7.2013 gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung des Testaments wegen eines Motivirrtums ihrer Eltern. Diese seien damals wütend auf sie gewesen, weil sie entgegen deren Wunsch Sozialpädagogik statt Medizin studiert und ihre Eltern außerdem erfolgreich auf Unterhaltsleistung verklagt habe. Bereits etwa ein Jahr später hätten sich ihre Eltern jedoch wieder mit ihr versöhnt.
Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren Revision, mit der sie weiter die Abweisung der Klage erstrebt.
Aus den Gründen
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in ZEV 2015, 476 (mit Anmerkung Weidlich) abgedruckt ist, hat ausgeführt, die Klägerin sei aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 7.4.1977 Alleinerbin der Mutter geworden, da das Testament weder wirksam widerrufen noch angefochten worden sei. Die Verfügungen der Ehegatten zur Schlusserbeneinsetzung der Klägerin seien wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe die Verfügung der Mutter zur Schlusserbeneinsetzung gemäß § 2285 BGB analog nicht anfechten können, da die Mutter als letztverstorbener Ehegatte ihr Recht zur Selbstanfechtung der wechselbezüglichen Verfügung bereits durch Fristablauf verloren gehabt habe. Die Jahresfrist des § 2283 BGB habe mit dem Tod des Vaters zu laufen begonnen, da die Mutter nach dem Vortrag der Beklagten zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis von dem behaupteten Motivirrtum gehabt habe. Den Fragen, ob ein Motivirrtum vorgelegen habe und ob der Vater ggf. einen Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung trotz Erkennens dieses Irrtums bewusst unterlassen habe, müsse nicht nachgegangen werden. Entgegen der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht sei auch eine Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten durch einen Dritten gemäß § 2285 BGB analog ausgeschlossen. Andernfalls würde man der Beklagten ein Recht einräumen, das zum Nachteil des überlebenden Ehegatten zu dem gleichen Ergebnis führte wie das Recht zum Widerruf, von dem der Vater aber trotz Kenntnis des "Anfechtungsgrundes" keinen Gebrauch gemacht habe. Hätte der Vater zu Lebzeiten seine wechselbezügliche Verfügung widerrufen, hätte die Mutter darauf durch eine eigene letztwillige Verfügung angemessen reagieren können. Wenn man nun der Beklagten nach dem Tod der Eltern ein Anfechtungsrecht hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügung des erstverstorbenen Vaters zubilligte, verletzte man die durch § 2271 Abs. 1 BGB geschützten Interessen der Mutter.
Das Gericht halte außerdem dafür, dass die Eltern durch die Beibehaltung des Testaments eine Bestätigung vorgenommen hätten, oder der behauptete Motivirrtum nicht kausal geworden sei. Auch aus diesem Grund sei eine Anfechtung nicht möglich.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Nach den in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Verfügungen zur Schlusserbeneinsetzung der Klägerin durch beide Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB. Eine wirksame Anfechtung der Verfügung des Vaters zur Schlusserbeneinsetzung hätte daher gemäß § 2270 Abs. 1 BGB auch die Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügung der Mutter zur Folge.
2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte die Verfügung der Mutter zur Schlusserbeneinsetzung gemäß § 2285 BGB analog nicht anfechten kon...