Mit der Verordnung wird aus inländischer Sicht eine Abkehr des hier grundsätzlich vorherrschenden Staatsangehörigkeitsprinzips vorgenommen, wie es Art. 25 Abs. 1 EGBGB zugrunde liegt. Bisher wird bei Vorliegen eines Auslandsbezugs in erbrechtlichen Fällen auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes abgestellt. Nunmehr wird ein Paradigmenwechsel eingeläutet, hin zu einer Vorgehensweise, wie sie im angloamerikanischen Rechtskreis seit jeher angedeutet ist, nämlich hin zu dem Anknüpfungspunkt des letzten gewöhnlichen Aufenthalts, wobei bekanntermaßen der Begriff des Aufenthalts nicht mit dem "domicile" nach angloamerikanischem Recht gleichgestellt wird. Aus inländischer Sicht erfolgt damit die Aufgabe eines bislang klaren und eindeutigen Anknüpfungspunktes zugunsten eines möglicherweise schwierig und nur mit erheblicher Rechtsunsicherheit festzustellenden Anknüpfungspunkts, der Streitigkeiten zu provozieren scheint. Allerdings wird mit der Zuweisung von gerichtlichen und behördlichen Zuständigkeiten an eben die Gerichte des letzten gewöhnlichen Aufenthalts ein Gleichlauf zwischen materiellem Recht und dessen Anwendung durch das "passende" Gericht begünstigt.
Dies will die Erbrechtsverordnung mit Bestimmungen in vier Regelungsbereichen erzielen:
- die Zuständigkeit des Gerichts, Art. 4 – Art. 19 der Verordnung
- das anzuwendende Erbrecht, Art. 20 – Art. 38 der Verordnung
- die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Nachlasssachen, Art. 39 – Art. 61 der Verordnung
- die Einführung eines europäischen Nachlasszeugnisses (europäischer Erbschein), Art. 62 – Art. 73 der Verordnung
In den Artikeln 74 bis Art. 84 der Verordnung finden sich allgemeine Bestimmungen über das Verhältnis zu internationalen Übereinkünften, Informationen sowie Übergangsbestimmungen.
Der genaue Wortlaut des angenommenen Textes findet sich in vorläufiger Ausgabe unter folgender Seite des BMJ: http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Erbrechts_Verordnung.pdf?__blob=publicationFile.
In diesem Text sind Anpassungen in der Bezifferung der einzelnen Artikel vorgenommen worden, die noch in der vorherigen deutschen Textfassung fehlten, weshalb dringend empfohlen wird, die aktuelle Version abzufragen. So fehlten beispielsweise in der Textversion vom März 2012 die Ziffer 2 in Art. 1 der VO, Art. 3, Art. 7, Art. 9 und Art. 18. Die nun veröffentlichte Textversion weist erheblich Änderungen auf.
Welche Regelungen ergeben sich nun im Einzelnen aus dem vorliegenden Verordnungstext?
I. Anwendungsbereich
1. Zu beachten ist zunächst, dass die neue Verordnung grundsätzlich europaweit gelten soll. Allerdings ist bereits hier anzumerken, dass die Verordnung in Großbritannien und Irland nicht zur Anwendung kommen wird, da von diesen Staaten angekündigt wurde, von ihrem "Opt-out"-Recht Gebrauch machen zu wollen. Gleiches gilt für Dänemark, dass sich aufgrund der geltenden Regelungen zu einem "Opt-in" entschließen müsste, wovon nicht auszugehen ist.
2. Mit der Europäischen Erbrechtsverordnung ändert sich außerdem im Hinblick auf Erbschaftsfälle nichts, wenn ein EU-Bürger mit Wohnsitz in seinem Heimatland verstirbt. In diesen rein nationalen Erbfällen ist die Verordnung nicht anzuwenden mit der Folge, dass sich nicht etwa eine Anpassung des materiellen Erbrechts der einzelnen Mitgliedstaaten ergibt.
3. Wie in Verordnungen dieser Art üblich, regelt die Erbrechtsverordnung zunächst in ihrem Art. 1 den Anwendungsbereich, also den Themenkomplex, auf den die Verordnung angewandt werden soll. Der Verordnungsgeber spricht hier von der Anwendung auf die "Rechtsnachfolge von Todes wegen". Was unter dem Begriff der Rechtsnachfolge von Todes wegen zu verstehen ist, unterliegt grundsätzlich der sogenannten Qualifikation. Die hierbei erforderliche Auslegung folgt aufgrund des vorliegenden Gemeinschaftsrechts dem Grundsatz autonomer Auslegung. Hilfreich sind dabei die in der Textfassung der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.3.2012 näher ausgeführten Gründe.
Die Verordnung soll alle Bereiche der Rechtsnachfolge von Todes wegen erfassen, und zwar auf jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es durch gewillkürte Erbfolge oder bei gesetzlicher Erbfolge anzuwenden sein, vgl. Art 2 Nr. 1 (a) ErbRVO. Daraus folgt: Die Verordnung erfasst alle Rechtsfragen der gewillkürten oder gesetzlichen Erbfolge, sofern ein Auslandsbezug besteht, da die Verordnung wie dargelegt keine Auswirkung auf rein nationale Erbfälle hat.
4. Von wesentlicher Bedeutung sind die Ausnahmen vom Anwendungsbereich, die zum einen in Art. 1 Ziff. 1 S. 2 sowie in Art. 1 Ziff. 2 beinhaltet sind.
Die Verordnung soll insbesondere nicht gelten für unentgeltliche Zuwendungen, mithin aus inländischer Sicht für Schenkungen gemäß den §§ 516 ff BGB. Dies stellt der Verordnungsgeber in Text...