I. Sachverhalt
Der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs lag (vereinfacht) ein deutsch-französischer Erbfall zu Grunde.
Der Erblasser, Herr Adrien Théodore Oberle, ein französischer Staatsangehöriger ist am 28.11.2015 (d. h. nach dem 17.8.2015) mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich verstorben. Der Erblasser hat kein Testament hinterlassen. Mangels einer erbrechtlichen Rechtswahl kam somit französisches Erbrecht zur Anwendung (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO). Aufgrund gesetzlicher Erbfolge (nach französischem Erbrecht wurde der Erblasser (unstreitig) von seinen beiden Söhnen zu je ein Halb beerbt. Der Nachlass umfasste Vermögen in Frankreich und Deutschland.
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Frankreich: Ein französisches Gericht (Tribunal d’ instance) hat auf Antrag der Erben ein Erbzeugnis (nach französischem Recht) ausgestellt, wonach die beiden Söhne jeweils zur Hälfte Erben sind. |
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Europa: Das französische Gericht stellte ferner ein Europäisches Nachlasszeugnis mit gleichem Inhalt aus (Art. 62 ff EUErbVO). Der Erblasser hatte seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich, so dass die Gerichte in Frankreich insoweit international zuständig waren (siehe Art. 4 und Art. 64 EuErbVO; zur Rechtslage in Deutschland siehe auch §§ 33 ff IntErbRVG). |
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Deutschland: Schließlich beantragten die Erben in Deutschland einen Erbschein (und zwar einen (beschränkten) Fremdrechts-Erbschein nach französischem Erbrecht, §§ 2353 ff BGB und §§ 352 ff, 352 c FamFG). Die Erben haben den Antrag beim Amtsgericht Schöneberg in Berlin gestellt, nachdem der Erblasser keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Die Zuständigkeit ergibt sich grundsätzlich daraus, dass zum Nachlass Gegenstände im Inland (Deutschland) gehörten (§§ 105, 343 FamFG). |
II. Ausgangssituation in Deutschland
1. Rechtslage bis 2015
Für Erbfälle vor dem 17.8.2015 (siehe Art. 83 EuErbVO) war die internationale Zuständigkeit der Nachlassgerichte in solchen Fällen weitgehend unstreitig.
Die deutschen Gerichte waren in Nachlasssachen international zuständig, wenn sie örtlich zuständig waren. Die früher von der deutschen Rechtsprechung vertretene Gleichlauftheorie wurde im Rahmen der FGG-Reform im Jahr 2008 aufgegeben. Die deutschen Gerichte waren danach auch dann zuständig, wenn sich die Erbfolge (wie im Ausgangsfall Oberle) nicht nach deutschem, sondern nach ausländischem (hier: französischen) Erbrecht richtete. Die gerichtliche Zuständigkeit erstreckte sich dabei auf den gesamten Nachlass.
Die Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte war dabei immer dann gegeben, wenn (i) der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes (§ 343 Abs. 1 FamFG) oder früher einmal (§ 343 Abs. 2 FamFG) in Deutschland hatte (ii) oder deutscher Staatsangehöriger war (§ 343 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. FamFG) oder (iii) sich (wie hier) Nachlassgegenstände im Inland befinden (§ 343 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. FamFG).
Danach wäre das Amtsgericht Schöneberg in Berlin in dem Fall Oberle an sich international zuständig gewesen.
2. Rechtslage seit 2015
Für alle Erbfälle seit dem 17.8.2015 ist vorrangig die Europäische Erbrechtsverordnung anwendbar. Diese enthält u. a. auch Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit.
Art. 4 EuErbVO regelt die allgemeine Zuständigkeit wie folgt:
"Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte."
Danach könnte sich die internationale Zuständigkeit für die Erteilung deutscher Erbscheine möglicherweise danach richten, wo der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Fall Oberle wäre somit ein Gericht in Frankreich international zuständig (und nicht das Amtsgericht Schöneberg in Berlin).
Die Problematik wurde in Deutschland frühzeitig erkannt. Allerdings bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass die Zuständigkeitsvorschriften der Europäischen Erbrechtsverordnung nur für das Europäische Nachlasszeugnis gelten können (und nicht auch für nationale Erbzeugnisse). Die Zuständigkeit für die Erteilung nationaler Erbzeugnisse (wie hier dem deutschen Erbschein) müsse sich unverändert allein nach nationalem Recht richten.
Dies wurde u. a. damit begründet, dass das Europäische Nachlasszeugnis neben die nationalen Erbzeugnisse tritt und diese nicht ersetzen soll (siehe auch Art. 62 Abs. 3 Satz 1 EuErbVO: "Das Zeugnis tritt nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke, [...]"). Dies entspreche auch dem europäischen "Subsidiaritätsprinzip" (Erwägungsgrund Nr. 67 Satz 3). Ferner wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Erteilung eines Erbscheins nicht um eine gerichtliche "Entscheidung" in einem streitigen Verfahren (im Sinne von Art. 4 EuErbVO) handelt. Vielmehr werde der Erbschein im nicht streitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erteilt (§§ 26, 352 ff FamFG).
Im Rahmen des deutschen Umsetzungsgesetzes zur Europäischen Erbrechtsverordnung wurde das Thema ausführlich diskutiert. In der amtlichen Gesetzesb...