1. Rechtslage bis 2015
Für Erbfälle vor dem 17.8.2015 (siehe Art. 83 EuErbVO) war die internationale Zuständigkeit der Nachlassgerichte in solchen Fällen weitgehend unstreitig.
Die deutschen Gerichte waren in Nachlasssachen international zuständig, wenn sie örtlich zuständig waren. Die früher von der deutschen Rechtsprechung vertretene Gleichlauftheorie wurde im Rahmen der FGG-Reform im Jahr 2008 aufgegeben. Die deutschen Gerichte waren danach auch dann zuständig, wenn sich die Erbfolge (wie im Ausgangsfall Oberle) nicht nach deutschem, sondern nach ausländischem (hier: französischen) Erbrecht richtete. Die gerichtliche Zuständigkeit erstreckte sich dabei auf den gesamten Nachlass.
Die Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte war dabei immer dann gegeben, wenn (i) der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes (§ 343 Abs. 1 FamFG) oder früher einmal (§ 343 Abs. 2 FamFG) in Deutschland hatte (ii) oder deutscher Staatsangehöriger war (§ 343 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. FamFG) oder (iii) sich (wie hier) Nachlassgegenstände im Inland befinden (§ 343 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. FamFG).
Danach wäre das Amtsgericht Schöneberg in Berlin in dem Fall Oberle an sich international zuständig gewesen.
2. Rechtslage seit 2015
Für alle Erbfälle seit dem 17.8.2015 ist vorrangig die Europäische Erbrechtsverordnung anwendbar. Diese enthält u. a. auch Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit.
Art. 4 EuErbVO regelt die allgemeine Zuständigkeit wie folgt:
"Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte."
Danach könnte sich die internationale Zuständigkeit für die Erteilung deutscher Erbscheine möglicherweise danach richten, wo der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Fall Oberle wäre somit ein Gericht in Frankreich international zuständig (und nicht das Amtsgericht Schöneberg in Berlin).
Die Problematik wurde in Deutschland frühzeitig erkannt. Allerdings bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass die Zuständigkeitsvorschriften der Europäischen Erbrechtsverordnung nur für das Europäische Nachlasszeugnis gelten können (und nicht auch für nationale Erbzeugnisse). Die Zuständigkeit für die Erteilung nationaler Erbzeugnisse (wie hier dem deutschen Erbschein) müsse sich unverändert allein nach nationalem Recht richten.
Dies wurde u. a. damit begründet, dass das Europäische Nachlasszeugnis neben die nationalen Erbzeugnisse tritt und diese nicht ersetzen soll (siehe auch Art. 62 Abs. 3 Satz 1 EuErbVO: "Das Zeugnis tritt nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke, [...]"). Dies entspreche auch dem europäischen "Subsidiaritätsprinzip" (Erwägungsgrund Nr. 67 Satz 3). Ferner wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Erteilung eines Erbscheins nicht um eine gerichtliche "Entscheidung" in einem streitigen Verfahren (im Sinne von Art. 4 EuErbVO) handelt. Vielmehr werde der Erbschein im nicht streitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erteilt (§§ 26, 352 ff FamFG).
Im Rahmen des deutschen Umsetzungsgesetzes zur Europäischen Erbrechtsverordnung wurde das Thema ausführlich diskutiert. In der amtlichen Gesetzesbegründung wird dazu u. a. folgendes ausgeführt: "Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit bleibt es (...) bei der Anwendung von § 105 FamFG. Danach kommt es für die internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte allein darauf an, ob die örtliche Zuständigkeit nach § 343 FamFG gegeben ist. Betroffen hiervon sind diejenigen erbrechtlichen Verfahren mit Auslandsberührung, die nicht vom Zuständigkeitsregime der ErbVO erfasst werden wie z. B. (...) die Erteilung und Einziehung und gegebenenfalls Kraftloserklärung von Erbscheinen, Testamentsvollstreckerzeugnissen und sonstigen vom Nachlassgericht zu erteilenden Zeugnissen (...)."
Mit dieser (eindeutigen) Stellungnahme des deutschen Gesetzgebers schien die Rechtsfrage an sich entschieden. Gleichwohl gab es im Schrifttum weiterhin einzelne Stimmen, die sich für einen Anwendungsvorrang der europäischen Zuständigkeitsvorschriften aussprachen. Die internationale Zuständigkeit für die Erteilung nationaler Erbscheine sollte sich danach vorrangig nach den Vorschriften der Europäischen Erbrechtsverordnung (Art. 4 ff EuErbVO) und nicht nach nationalem Recht (§§ 105, 343 ff FamFG) richten.
Dieser Auffassung hatte sich in einem deutsch-spanischen Erbfall vor kurzem auch das OLG Hamburg angeschlossen, allerdings ohne nähere Erörterung der Problematik.