Der Europäische Gerichtshof ist der Auffassung des Kammergerichts Berlin indes nicht gefolgt. Vielmehr hat sich der Europäische Gerichtshof erneut für eine umfassende Anwendung der Europäischen Erbrechtsverordnung ausgesprochen.
Der amtliche Leitsatz der Entscheidung lautet wie folgt: "Art. 4 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass er einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, die vorsieht, dass, auch wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in diesem Mitgliedstaat hatte, dessen Gerichte ihre Zuständigkeit für die Ausstellung der nationalen Nachlasszeugnisse im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug behalten, wenn Nachlassvermögen auf dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats belegen ist oder der Erblasser dessen Staatsangehörigkeit besaß."
Der Europäische Gerichtshof hat seine (eher kurze) Entscheidung u. a. damit begründet, dass die Europäische Erbrechtsverordnung die gesamte Erbfolge einheitlich, umfassend und widerspruchsfrei regeln soll.
Dabei hat der Europäische Gerichtshof vor allem drei Aspekte besonders hervorgehoben (siehe Rn 33 ff):
Grundsatz der Nachlasseinheit: Die Europäische Erbrechtsverordnung beruht auf dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Erbfolge. Dies gilt zunächst für das anzuwendende Erbrecht, dass für die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen maßgebend ist (Art. 23 Abs. 1 EuErbVO). Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Erbfolge liegt aber auch der allgemeinen Zuständigkeitsregelung zugrunde (Art. 4 EuErbVO). Die Zuständigkeit der Gerichte umfasst die Entscheidungen für den gesamten Nachlass.
Gerichtliche Entscheidungen: Mit gerichtlichen Entscheidungen im Sinne der Europäischen Erbrechtsverordnung ist nicht nur die rechtsprechende Tätigkeit der Gerichte gemeint. Vielmehr sind auch Entscheidungen in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit umfasst (siehe auch Erwägungsgrund Nr. 59). Der Begriff der gerichtlichen "Entscheidungen" umfasst streitige und nicht streitige Verfahren. Damit fallen auch Beschlüsse zur Erteilung von Erbscheinen unter die Zuständigkeitsregeln der Europäischen Erbrechtsverordnung. Dem steht nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs auch nicht entgegen, dass solche Entscheidungen nicht in Rechtskraft erwachsen können.
Gefahr widersprechender Entscheidungen: Die einheitliche Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit für nationale Erbzeugnisse und das Europäische Nachlasszeugnis verringert die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Parallelverfahren vor den Gerichten der verschiedenen Mitgliedstaaten werden auf diese Weise vermieden. Dies dient dem Ziel einer geordneten Rechtspflege.
Zwischenergebnis: Aus allen diesen Erwägungen folgt nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs, dass die allgemeine Zuständigkeitsregel der Europäischen Erbrechtsverordnung (Art. 4 EuErbVO) auch für die Erteilung nationaler Erbzeugnisse anzuwenden ist.