StVG §§ 7, 17; StVO §§ 8, 10, 11
Leitsatz
1) Ob eine Grundstücksausfahrt vorliegt oder eine vorfahrtsberechtigte Straße gegeben ist, richtet sich nach dem optischen Gesamteindruck, den die einmündende Straße bietet.
2) Kann der Fahrer nicht eindeutig entscheiden, ob eine Grundstücksausfahrt oder auf Grund des Gebots "rechts vor links" für ihn etwa eine Pflicht zur Beachtung des Vorfahrtsrechtes aus der einmündenden Straße ausfahrender Verkehrsteilnehmer besteht, muss er seine Geschwindigkeit herabsetzen, bremsbereit sein, um gegebenenfalls durch eine Notbremsung den Zusammenstoß mit Ausfahrenden zu vermeiden.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Potsdam, Urt. v. 1. 2. 2007 – 3 S 155/06
Sachverhalt
Die klagende Kaskoversicherung hat die beklagte Haftpflichtversicherung des Unfallgegners ihres Versicherungsnehmers auf Ersatz der Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 2. 7. 2003 an einer Kreuzung der L.- mit der T.-Straße in Anspruch genommen. An der Kreuzung der Straßen ist die Vorfahrt nicht durch Verkehrszeichen geregelt. Der Versicherungsnehmer kam von links aus der T.-Straße. Der Straßenabschnitt, den der Versicherungsnehmer der Klägerin befuhr, ist durch eine in den Asphaltbelag eingelassene Reihe von Pflastersteienen von der kreuzenden Straße, die der Versicherungsnehmer der Beklagten nutzte, abgegrenzt. Diese Pflastersteine, die das Höhenniveau des Straßenbelages haben, führen die Gehwegkante der durch den Versicherungsnehmer der Klägerin befahrenen Straße fort. Der Streit der Parteien dreht sich um die Frage, ob der Unfall an einer Kreuzung mit der Vorfahrtsregelung “rechts vor links’ sich ereignet hat, oder ob der Versicherungsnehmer der Klägerin über einen abgesenkten Bordstein in den fließenden Verkehr gefahren ist und deshalb wartepflichtig war.
Das LG hat die Entscheidung des Amtsgerichtes abgeändert, das der Klägerin einen Anspruch auf hälftigen Ersatz der ihrem Versicherungsnehmer erbrachten Versicherungsleistungen zugesprochen hat.
Aus den Gründen
“ … Die Berufung ist zulässig und insbesondere form- und fristgerecht begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf vollständigen Ausgleich des ihrem Versicherungsnehmer entstandenen und diesem auch erstatteten Schaden gem. § 7 StVG, § 823 BGB, § 3 PflVG, § 67 VVG. Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge gem. § 17 StVG, § 254 BGB führt zur alleinigen Haftung des Versicherungsnehmers der Beklagten.
Dieser hat den Unfall verschuldet, da er gegen die Vorfahrtregel des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO “rechts vor links’ verstoßen hat.
Bei der Stichstraße (Lilienstraße), aus welcher der Versicherungsnehmer der Klägerin kam, handelt es sich um eine öffentliche Straße i.S.d. Straßenverkehrsgesetzes. In Ermangelung einer Beschilderung gilt für diese öffentliche Straße die Vorfahrtregelung “rechts vor links’. Für die Wartepflicht des von links kommenden Verkehrs nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO ist auf den optischen Gesamteindruck abzustellen, den die einmündende Straße bietet (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.1986, NJW 1987, 435).
Auf Grund der sich bei der Akte befindlichen Farbphotographien konnte das Berufungsgericht feststellen, dass der einmündende Teil der Lilienstraße, welchen der Versicherungsnehmer der Klägerin befuhr, nicht nur für diesen als eine normale Straße erkennbar war. Auch für den Versicherungsnehmer der Beklagten konnte die Einmündung nach dem optischen Gesamteindruck nur als vorfahrtberechtigte Straße wahrgenommen werden. Dies ergibt sich sowohl aus der Breite der einmündenden Straße – sie weist eine normale Straßenbreite auf –, die schwerlich auf eine Grundstückseinfahrt schließen lässt. Die Breite der einmündenden Straße war auch für einen von links kommenden Fahrer gut erkennbar. Denn die Unfallkreuzung war auf Grund des sich auf seiner Fahrseite befindlichen breiten Gehweges und des dadurch weit zurückgesetzten an der Kreuzung liegenden Grundstückes gut einsehbar. Die Straße ist auch durch ein Straßenschild gekennzeichnet, das für den sich von links nähernden Verkehr gut sichtbar ist. Eine Zu- oder Ausfahrt trägt hingegen kein Straßenschild. Zudem wird der Gehweg, der sich auf dem Abschnitt der Lilienstraße, den der Versicherungsnehmer der Beklagten befuhr, befindet, nicht weitergeführt über den einmündenden Teil der Lilienstraße, den der Versicherungsnehmer der Klägerin befuhr. Gerade ein weitergeführter Gehweg mit abgeflachten Bordsteinen kennzeichnet üblicherweise eine einmündende Zufahrt. Auch ist die Pflastersteinreihe, welche die Stichstraße Lilienstraße optisch von der Lilienstraße trennt, ebenerdig in den Teerbelag eingearbeitet, um einen riss- und wartungsfreien Anschluss an den bereits bestehenden Teerbelag herstellen zu können. Nach Auffassung der Kammer bot sich für den Versicherungsnehmer der Beklagten auch auf Grund dieser Pflasterung keinesfalls der optische Eindruck einer Grundstücksausfahrt.
Wegen der optischen Gegebenheiten hätte der Versicherungsnehmer der Beklagten in einer derartigen Situation, wenn die Vorfahrtregelun...