VVG § 38
Leitsatz
Der sich auf Leistungsfreiheit wegen Nichtzahlung der Erstprämie berufende Versicherer muss den rechtzeitigen Zugang des entsprechenden Anforderungsschreibens voll beweisen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Konstanz, Urt. v. 14.9.2007 – 4 O 130/07
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt den Beklagten für Schäden, die er mit einem unter Verwendung einer Doppelkarte der Klägerin zugelassenen Lkw verursacht hat, in Regress. Die Klägerin, die ein elektronisches standardisiertes Nachtverarbeitungssystem für ihre Korrespondenz betreibt, hat den Beklagten unter dem 29.8.2006 zur Zahlung der Erstprämie aufgefordert. Erst am 10.10.2006 hat der Beklagte, der behauptet, das Aufforderungsschreiben erst am 9.10.2006 nach einem Urlaub "entdeckt" zu haben, die Erstprämie gezahlt.
Aus den Gründen
“ … Ein Regress der Klägerin käme überhaupt nur dann in Betracht, wenn der Beklagte tatsächlich die Erstprämie verspätet bezahlt hätte. Gem. § 1 Abs. 4 der einschlägigen AKB muss der Versicherungsnehmer, um den vorläufigen Deckungsschutz nicht rückwirkend zu verlieren, in einer Frist von zwei Wochen ab Erhalt des entsprechenden Aufforderungsschreibens die Erstprämie bezahlen. Mit Schreiben vom 28.8.2006 wurde der Beklagte von der Klägerin zur Zahlung dieser Erstprämie aufgefordert. Allerdings ist der von der Klägerin mit dem 1.9.2006 behauptete Zeitpunkt des Zugangs dieses Schreibens, mit welchem auch der Versicherungsschein vom selben Tag versandt wurde, vom Beklagten bestritten. Die Beweislast bezüglich des Zugangszeitpunkts dieses Schreibens trägt die Klägerin (OLG Köln RuS 1999, 444; Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl. 2004, § 1 AKB Rn 19; allgemein zu § 130 BGB: BGHZ 70, 232; OLG Saarbrücken, NJW 2004, 2908). Ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger überhaupt bzw. gar zu einem konkreten Zeitpunkt erreicht hat, ist abzulehnen (Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 130 Rn 21 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Insofern ist auch der Vortrag der Klägerin unter Beweisantritt unerheblich, es gebe standardisierte Abläufe bei der Erstellung und dem Versand der Erstprämienrechnungen nebst Versicherungsscheinen. Selbst die Richtigkeit vorliegend unterstellt, würde dies noch nicht einmal einen einigermaßen zeitnahen Zugang der Postsendungen beweisen können, da es einen Erfahrungssatz, dass und in welcher Zeit die Postsendungen den Empfänger erreichen, nicht gibt (ebenso Prölss/Martin, a.a.O., § 39 Rn 14). Zudem hat es der Versicherer selbst in der Hand, entsprechende Beweisschwierigkeiten von vornherein etwa durch die Wahl förmlicher Zustellungen oder Einschreiben mir Rückschein zu vermeiden (OLG Hamm RuS 1992, 258; Prölss/Martin, a.a.O.).
Soweit die Klägerin hier auf die in VersR 2006, 1625 veröffentlichte Entscheidung des OLG Karlsruhe … abstellt, so betraf die dortige Entscheidung einen grundlegend anderen Sachverhalt. Dort stand im Gegensatz zum vorliegenden Fall der konkrete Zugangszeitpunkt eines Versicherungsscheins unstreitig fest, streitig war dort lediglich, ob weitere entscheidende Schriftstücke beilagen. Für einen solchen Fall hat das OLG Karlsruhe dem Versicherer im Hinblick auf lang praktizierte und standardisierte Versandverfahren gewisse Beweiserleichterungen zugestanden.
Für den vorliegenden, völlig anders gelagerten Fall können solche Beweiserleichterungen nicht in Betracht kommen.
Der Beklagte hat den diesbezüglichen Klägervortrag substantiiert bestritten. Ein bestimmter Zugangszeitpunkt des Aufforderungsschreibens, der mehr als zwei Wochen vor der am 10.10.2006 vom Beklagten vorgenommenen Zahlung der Erstprämie gelegen haben müsste, konnte daher nicht festgestellt werden. Damit hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis des rückwirkenden Wegfalls der vorläufigen Deckung nicht geführt. … “
Mitgeteilt von RA Jochen Link, Villingen