BGB § 823 Abs. 2 § 833; ZPO § 286

Leitsatz

1) Begegnet auf öffentlicher Straße eine Radfahrerin einem Hund, der entgegen einer Verordnung nicht angeleint ist, und kommt sie im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit zu Fall, so kann ein Anscheinsbeweis dafür sprechen, dass das Bewegungsverhalten des Hundes und damit die von ihm ausgehende Tiergefahr für ihren Sturz ursächlich war.

2) Eine städtische Hundeanleinverordnung ist ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB.

OLG Hamm, Urt. v. 25.7.2008 – 6 U 60/08

Sachverhalt

Die Klägerin und ihr Ehemann befuhren am 10.1.2005 mit dem Fahrrad einen Wirtschaftsweg. Ihnen kamen der inzwischen verstorbene Vater des Beklagten und die Zeugin B als Fußgänger entgegen. Vor den Fußgängern lief der von ihnen ausgeführte französische Hirtenhund Nemo, dessen Halter der Beklagte ist. Die Klägerin, die den Hund kannte, sprach ihn an. Sie kam in engem zeitlichem Zusammenhang aus zwischen den Parteien streitigen Gründen zu Fall und erlitt einen Bruch des 9. Brustwirbels. Die Klägerin hat behauptet, ihr Sturz sei dadurch verursacht worden, dass Nemo von rechts kommend in ihr Vorderrad geraten sei. Das hat der Beklagte bestritten.

Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen es nicht für bewiesen erachtet, dass Nemo den Sturz der Klägerin verursacht habe und die Klage abgewiesen. Die Berufung führte zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und weit überwiegender Verurteilung des Beklagten.

Aus den Gründen

Aus den Gründen:„ … Der Beklagte ist gem. § 833 BGB als Halter des Hundes Nemo der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet, weil Nemo den Sturz der Klägerin verursacht hat.

In der weiteren Beweisaufnahme vor dem Senat haben der als Zeuge vernommene Ehemann der Klägerin einerseits und die Zeugin B andererseits an ihren jeweiligen schon vor dem LG gegebenen Darstellungen festgehalten, die darin übereinstimmten, dass Nemo sich unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin rechts von ihr auf dem Randstreifen befinden habe. Im Übrigen wichen aber die Darstellungen voneinander ab.

Nach der Darstellung des Zeugen S (Ehemann der Klägerin) soll es so gewesen sein, dass Nemo zunächst zwischen den beiden Radfahrern hindurchgelaufen ist, wobei die Klägerin ihn angesprochen hat, dass er dann die Richtung geändert haben muss, indem er sich hinter dem Fahrrad der Klägerin umgewendet und sie rechts überholt hat und dann bei einer Bewegung nach links hinüber gegen ihr Vorderrad geraten ist. Demgegenüber soll es nach der Darstellung der Zeugin B so gewesen sein, dass Nemo der Klägerin auf dem aus ihrer Sicht rechten Randstreifen entgegengekommen ist, dass sie ihn auf diese Weise mit ihrer rechten Seite passiert und dabei angesprochen hat, und dass er sich – möglicherweise auf Grund der Ansprache – nach rechts gedreht hat, als die Klägerin schon praktisch an ihm vorbei war, und dass dann die Klägerin ohne Berührung mit dem Hund oder ohne Behinderung durch ihn gestürzt sein soll, wobei die Zeugin B die Vermutung äußerte, dass dies auf Grund besonders langsamer Fahrweise geschehen sein könnte. Aus der Sicht des Senats erscheint zunächst eine derartige Verursachung des Sturzes deutlich weniger plausibel als eine solche, bei welcher der Hund eine Rolle gespielt hat. Denn zum einen ist es doch eher ungewöhnlich, dass eine geübte Radfahrerin ohne besonderen Anlass einfach auf Grund einer extremen Langsamfahrt stürzt, und zum andern hat sich – wenn auch in den Einzelheiten der Begegnungsschilderungen Differenzen bestehen – der Sturz jedenfalls in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Begegnung ereignet. Aus der Sicht des Senats erscheint daher die Darstellung des Zeugen S in höherem Maße wahrscheinlich als diejenige der Zeugin B.

1.2 Ob das allerdings ausreicht, allein auf Grund der Zeugenaussage die hier erforderliche volle Gewissheit zu gewinnen, dass tatsächlich der Sturz sich in der Weise ereignet hat, wie es die Eheleute S vor dem Senat geschildert haben, kann dahingestellt bleiben.

Denn der Sturz der Klägerin und ihre Begegnung mit dem frei laufenden Hund des Beklagten standen in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Unter diesen Umständen spricht ein Anscheinsbeweis für die Verursachung des Sturzes durch den Hund, weil dieser nicht angeleint war, obwohl gem. § 15 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt D vom 15.6.1994 auf Straßen und in Anlagen in D Hunde nur von aufsichtsfähigen Personen angeleint geführt werden dürfen.

Zwar besteht gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LHundG NRW die Verpflichtung, Hunde an einer zur Vermeidung von Gefahren geeigneten Leine zu führen, nur in Fußgängerzonen, Haupteinkaufsbereichen und anderen innerörtlichen Bereichen, Straßen und Plätzen mit vergleichbarem Publikumsverkehr sowie in der Allgemeinheit zugänglichen, umfriedeten Park-, Garten- und Grünanlagen (soweit nicht Hundeauslaufbereiche besonders ausgewiesen sind). Die Unfallstelle lag offenbar nicht in einem derartigen besonders frequentierten...

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