AUB 88 § 2 I (2)
Leitsatz
Allein die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um 40 bis 60 km/h auf einer gerade verlaufenden Bundesstraße führt nicht zum Ausschluss von Ansprüchen auf eine Invaliditätsentschädigung.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Hamburg, Urt. v. 26.3.2008 – 331 O 228/07
Sachverhalt
Der Kläger beansprucht Leistungen aus einer Unfallversicherung. Am 3.4. wurde der Kläger bei einem Unfall verletzt. Der Kläger fuhr gegen 20.45 Uhr mit dem Motorrad S auf der Bundesstraße X. Kurz vor der Einmündung Richtung Y verläuft die 1,7 m breite Fahrbahn in einem längeren Bereich nahezu gradlinig. Der Kläger kollidierte mit einem Fußgänger. Auf Grund des Unfalls ist der rechte Arm des Klägers dauerhaft gelähmt. Die Beklagte hat geltend gemacht, der Kläger habe sich grob verkehrswidrig verhalten (§ 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB).
Aus den Gründen
Aus den Gründen:„ … Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht aus der bei der Beklagten bestehenden Unfallversicherung wegen der am 3.4.2005 erlittenen Armverletzung eine Versicherungsleistung in Höhe von 53.174,36 EUR zu. Zwischen den Parteien ist es unstreitig, dass der Kläger auf Grund des Unfalles vom 3.4.2005 eine Armverletzung erlitt, dass bei der Invaliditätsberechnung der volle Wert für den Arm zugrunde zu legen war. Ebenfalls unstreitig ist, dass die vertraglich vereinbarte Versicherungsleistung für die vorliegende Verletzung 53.117,36 EUR beträgt.
Die Beklagte kann sich vorliegend nicht auf Leistungsfreiheit wegen des in § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB bedungenen Ausschlusses berufen. Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB besteht kein Versicherungsschutz bei Unfällen, die dem Versicherten dadurch zustoßen, dass er vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht. Der Kläger hat sich vorliegend nicht einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c Abs. 2 Nr. 2d schuldig gemacht. Aus dem in dem Verfahren vor dem LG beigezogenen Gutachten ergibt sich, dass die Bundesstraße X im Unfallbereich über eine Strecke von mehreren 100 m ebenerdig geradeaus verläuft. Auf den Feststellungen in dem Gutachten ist davon auszugehen, dass der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 103 km/h bis 120 km/h gefahren ist. In dem Gutachten ist weiter festgestellt worden, dass der Unfall auch bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h nicht hätte vermieden werden können. Das Fahren auf einer geraden Strecke mit leicht überhöhter Geschwindigkeit wertet das Gericht weder als grob verkehrswidrig noch als rücksichtslos. Der Kläger musste bei dieser Fahrweise auch nicht davon ausgehen, dass er Leib und Leben eines anderen gefährdet.“
Mitgeteilt von RAuN Fegbeitel, Hohenwestedt
3 Anmerkung
§ 2 Abs. I (2) AUB 88/94 schließt den Versicherungsschutz (unabhängig von einer strafgerichtlichen Verurteilung) für Unfälle aus, die dem Versicherten dadurch zustoßen, dass er vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht. Dieser Ausschluss ist wirksam (BGH VersR 98, 1410). Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit muss dabei der Versicherer beweisen. Daher hat das LG Hamburg zwar zu Recht ein – zweifellos vorliegendes – "zu schnelles" Fahren (bei einer immerhin um 40 km/h überhöhten Geschwindigkeit) an einer Straßeneinmündung nicht genügen lassen, sondern den konkreten Umständen entnommen, dass ein vorsätzlich grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten nicht festgestellt werden kann. Auch hat es zu Recht die Zurechenbarkeit der (denkbaren) Straftat für den Versicherungsfall verneint, weil auch ein pflichtgemäßes Verhalten zu dem Unfall geführt hätte (Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., Rn 30). Nicht geholfen hätte unserem Versicherungsnehmer allerdings – anders als das LG meint –, dass er Leib und Leben des Fußgängers nicht gefährden wollte, weil eine Vorsatztat nach § 11 Abs. 2 StGB auch vorliegt, wenn die tatbestandlich notwendige Gefahr lediglich fahrlässig verursacht wird (§ 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB).
Prof. Dr. Roland Rixecker