Prof. Dr. Roland Rixecker
Dass ein Unglück selten allein kommt, weiß auch das VVG. Ein Versicherungsnehmer missachtet in relativ fahruntüchtigem Zustand ein Stoppschild, beschädigt seinen kaskoversicherten Wagen, gibt dem Versicherer leichtfertig eine falsche Laufleistung an und erinnert sich nicht an einen Vorschaden. Was gilt in solchen Fällen, in denen – auf der Grundlage des § 81 VVG und des § 28 Abs. 2 VVG – der Entschädigungsanspruch einer mehrfachen Kürzung unterliegen kann? Der Gesetzgeber hat das Problem nicht gesehen. Und ganz außer Frage steht nur, dass eine Addition separater Quoten – 50+50+25+25 – mit der Folge einer Herauszahlung an den Versicherer nicht erfolgen darf.
Manche meinen, in solchen Fällen sollte eine Konsumtion der Leistungskürzungstatbestände durch ihren schwerstwiegenden erfolgen, es im Fall also wohl bei der auf Grund der Alkoholisierung gekürzten Leistung bleiben. Die dafür angeführten Argumente überzeugen jedoch nicht. Das Gesetz betrachtet jeweils nur den einzelnen Verstoß, an den es ein Kürzungsrecht knüpft, spricht von "der Obliegenheit" und nicht von "Obliegenheiten". Auch Sinn und Zweck der Abkehr vom Alles-oder-Nichts-Prinzip machen es nicht erforderlich, dem Versicherungsnehmer eine bestimmte Mindestentschädigung zu erhalten. Schließlich kann auch die Praxis nicht dankbar für eine solche Lösung sein. Die Konsumtion lässlicherer Vorwürfe durch den gewichtigsten verhindert nicht, dass über alle gestritten wird; denn regelmäßig steht erst am Ende einer Auseinandersetzung um Obliegenheiten und grob fahrlässige Risikoverwirklichung fest, wo der Schwerpunkt der Schwere des Vorwurfs liegt. Vor allem aber leuchtet es nicht ein, die Fälle einer Aufeinanderfolge schwer schuldhafter Illoyalitäten dem Fall der schwersten unter ihnen gleich zu behandeln.
Eine dritte Auffassung bedient sich daher der Faszination der Mathematik, die es erlaubt Zahlen zu glauben, deren Bedeutung man nicht so recht versteht: Die Multiplikation der einzelnen Quoten ergebe das Produkt, das dann den Gesamtkürzungsfaktor darstelle. Das aber erzeugt Scheingenauigkeiten und kann im Einzelfall zu Quoten führen, deren Sinn nicht mehr einleuchtet: Von einem Schaden von 10.000 EUR blieben beispielsweise (50 % Abzug für Alkohol; davon 50 % Abzug für das Überfahren des Stoppschilds; davon 25 % Abzug für die Angabe der Laufleistung; davon 25 % Abzug für das Verschweigen des Vorschadens) 1.406,25 EUR.
Schon das zeigt, dass eine wertende Gesamtbetrachtung erforderlich ist, die zu einer angemessenen Erhöhung der höchsten Kürzungsquote, zu einer Art "Gesamtquote" führt. Dabei ist allerdings, ähnlich wie es die Rechtsprechung zur Regresshöchstgrenzenkumulation zeigt, kein schematisches Vorgehen zulässig. Natürlich verletzt jede grob fahrlässig falsche Angabe in einer Schadenanzeige die Aufklärungsobliegenheit. Das Informationsinteresse des Versicherers verfolgt aber regelmäßig nur zwei Zwecke: Die Feststellung des Versicherungsfalls und die Höhe des versicherten Schadens sollen zutreffend ermittelt werden. Auch mehrere Ursachen für den Versicherungsfall – das zu schnelle Fahren in leicht alkoholisiertem Zustand – sind mit Blick auf das Interesse des Versicherers, den Risikoeintritt zu verhindern, häufig derart miteinander verwoben, dass eine separate Quotenbildung sinnwidrig wäre. Das bedeutet: In die Bildung der "Gesamtquote" fließen nur solche Teilquoten ein, die sich aus der Verletzung von Vorschriften ergeben, die unterschiedlichen Interessen des Versicherers dienen.