Prof. Dr. Roland Rixecker
Allem, was einfach erscheint, schmeichelt die Rechtspraxis gern. Das macht den Charme der immer häufiger vertretenen These aus, "Halbe-halbe" sei doch der schlechthin vernünftige Quotenbildungsgrundsatz. Das könnte die Regulierung in der Tat vereinfachen, findet jedoch weder eine Grundlage im Gesetz – das es sich ja auch auf diese Weise hätte einfach machen können – noch in der ihm zugrundre liegenden Wertung, in den Fällen einer gesteigerten Nachlässigkeit "genau hinzuschauen" und den "Umständen des Einzelfalls" penibler gerecht zu werden als bislang. Vertreter eines solchen "Halbteilungsgrundsatzes" meinen allerdings auch gar nicht, dass immer 50 % der versprochenen Entschädigung zu leisten, sondern dass "die Hälfte" der mit beweisrechtlichen Folgen versehene Ausgangspunkt sein soll. Sie verweisen darauf, dass § 28 Abs. 2 S. 2 VVG grobe Fahrlässigkeit vermute und daher viel dafür spreche, es sei eine solche mittlerer Art und Güte gemeint.
Dann müsste aber für die Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 VVG), der eine solche Vermutung nicht kennt, Anderes gelten. Und weshalb ein vermutetes Verschulden auch ein vermutetes durchschnittliches sein soll, leuchtet nicht ein und findet im Zivilrecht dort, wo Fahrlässigkeitsgrade eine Rolle spielen, nicht ohne Weiteres eine Stütze. Vor allem aber ist der sehr verständliche pragmatische Applaus für den Vorschlag vielleicht vorschnell. Denn manche verbinden ihn mit dem Vorbehalt des Doppelverwertungsverbots. Was zur Begründung (§ 28 VVG) oder fehlenden Widerlegung (§ 81 VVG) grober Fahrlässigkeit als Argument "verbraucht" worden ist, darf in die Tarierung ihrer Schwere nicht erneut einfließen. Zur Veranschaulichung: Das Überfahren eines roten Lichtzeichens wird als grob fahrlässig betrachtet, also lediglich die Hälfte der Entschädigung geschuldet. Das Mehr oder Weniger der Entschädigung bestimmen sich dann danach, welche "überschießenden", vom schlichten Sorgfaltsverstoß abzutrennenden objektiven und subjektiven Elemente des Vorwurfs vorliegen.
Abgesehen davon, dass das strafrechtliche Doppelverwertungsverbot gesetzlich geregelt ist, das VVG eine solche Regelung aber nicht kennt, heben die mit ihm verbundenen Differenzierungsnotwendigkeiten jegliche Vereinfachung eines Halbteilungsgrundsatzes auf. Im Übrigen gilt: quotenbildende Gewichtung des Verschuldens und Beweislast für die sie tragenden Umstände sollten voneinander getrennt werden. Der Ausgangspunkt und die Kriterien der Quotenbildung müssen also anders gefunden werden. Die Schritte der Quotierung sollten dabei nicht allzu klein gewählt, sondern Drittel, Viertel oder Fünftel zugesprochen werden. Vorstellbar ist allerdings, dass, hat man sich über die objektive Schwere des Sorgfaltsverstoßes verständigt, subjektive, personale Elemente des Verschuldens mit Zu- oder Abschlägen in Zehntelgrößen bewertet werden. Wie handhabbar und wie einsichtig ein solches System ist, wird allerdings erst die Kasuistik erweisen, deren Geburt zurzeit noch auf sich warten lässt.