Prof. Dr. Roland Rixecker
Allein die Schwere des Verschuldens bestimmt das Maß der Leistungskürzung. Das heißt aber nicht, dass nur das Gewicht des personalen Vorwurfs, nur subjektive Elemente also, die konkrete Bemessung der Kürzungsquote bestimmen. Das liegt schon deshalb fern, weil auf dem gedachten Lineal grober Fahrlässigkeiten der Schnittpunkt der Quote im konkreten Fall gefunden werden muss, das Gesicht der groben Fahrlässigkeit aber von vornherein von objektiven und subjektiven Zügen geprägt wird und weder ohne das eine noch ohne das andere erkannt werden kann.
Weitgehende Einigkeit herrscht inzwischen nur über einen Gesichtspunkt, der keine Rolle spielen darf: die wirtschaftliche Lage des Versicherungsnehmers. Sie kann im Einzelfall, wie es die Rechtsprechung zur versuchten arglistigen Täuschung in der Sachversicherung zeigt, vollständige Leistungsfreiheit nach Treu und Glauben ausschließen, ist aber kein Parameter der Quotenbildung.
Das entscheidende Gewicht kommt zunächst einem vom Einzelfall vergleichsweise unabhängigen Kriterium zu: dem objektiven Gewicht der konkreten Risikoverwirklichung oder der Obliegenheitsverletzung. Dabei lassen sich gerade für den Bereich der Kraftfahrtversicherung konsensfähige Maßstäbe erkennen, weil die Schwere des dem Versicherungsnehmer zu machenden Vorwurfs normativ vorgeprägt ist. Ist das Verhalten des Versicherungsnehmers unter Kriminalstrafe gestellt – Fahren in fahruntüchtigem Zustand – so spricht alles dafür, auch das Interesse des Versicherers in besonderem Maße zu schützen und hohe Kürzungsquoten – von 75 % bis 100 % – anzunehmen. Ist das Verhalten des Versicherungsnehmers bußgeldbewehrt und mit einem Fahrverbot sanktioniert, muss wenigstens von einer mittleren bis höheren Kürzungsquote – 50 % bis 75 % – ausgegangen werden. Verbleibt es ordnungswidrigkeitenrechtlich bei einem geringeren Bußgeld, bleibt auch dem Versicherungsnehmer in aller Regel eine die Hälfte übersteigende Entschädigung.
Auch für Obliegenheiten kann man sich möglicherweise über eine solche Skalierung verständigen. Obliegenheiten haben je nach ihrer Bedeutung für die Vermeidung des Risikos oder für die Aufklärung des Versicherungsfalls, je nach ihrer Offenkundigkeit und der Vorhersehbarkeit der Folgen ihrer Missachtung und je nach der konkreten Schwierigkeit, sie zu erfüllen, ein unterschiedliches Gewicht. Keine Versicherungsvertragspartei wird bestreiten, dass es (regelmäßig) wichtiger ist, ein Kraftfahrzeug nur in fahrtüchtigem Zustand als es nur im Rahmen der Nutzungsberechtigung zu führen: Denn eine Risikoübernahme ist für den Fall der Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen, für den Fall der Nutzungserstreckung gegen Prämienänderung möglich. Individualvertraglich vereinbarte Sicherheitsvorschriften sind von höherem Gewicht als in den AVB zu findende, weil ihr Appell an die Sorgfalt des Versicherungsnehmers eindringlicher und ihre Abrede risikospezifischer ist. Die Instandhaltungsobliegenheit der VGB ist wegen ihres nicht immer klaren zeitlichen Einsatzes und ihrer routineartigen Nähe zur "Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten" von geringerer Bedeutung als die Schadensminderungsobliegenheit bei einem durch Sturm abgedeckten Dach über einer wertvolles Gut bewahrenden Lagerhalle.
Vom objektiven Gewicht des Fehlverhaltens des Versicherungsnehmers abgesehen bestimmen weitere objektive Kriterien die Quotenbildung: Seine Dauer (Frostsicherungsmaßnahmen werden über Wochen nicht getroffen) erhöht die Quote, das Maß der Ursächlichkeit (die Missachtung eines Stoppschilds trifft auf eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit) vermag sie zu mindern, frühere Vertragsverletzungen (der Versicherungsnehmer gibt erneut unzulänglich Auskunft über den Hergang des Versicherungsfalls) sprechen für eine größere Kürzung der Entschädigung, Wiedergutmachungsversuche (der Versicherungsnehmer korrigiert fehlerhafte Angaben) für eine geringere.
Vor allem aber sind es nun subjektive Elemente, die die Quotenbildung steuern können. In einem milderen Licht erscheint das Überfahren eines roten Lichtzeichens, wenn der Versicherungsnehmer ortsunkundig gewesen ist, wenn die Lichtzeichenanlage oder die Fahrspurensteuerung auf Grund ihrer Anordnung nicht ganz übersichtlich war, wenn der Fahrer durch andere Fahrzeuge irregeführt wurde oder wenn er sich in einer besonderen Belastungssituation befand. Höhere Entschädigungsleistungen können angebracht sein, wenn die Handbremse nur nicht vollständig angezogen war und der Abstellort nicht abschüssig erscheinen musste. Fahrten in den Graben auf Grund schreiender Kinder im Fond begegnen größerem Verständnis als solche auf Grund hübscher Begleiterinnen (oder umgekehrt?).