Prof. Dr. Roland Rixecker
In beweisrechtliche Labyrinthe scheint schließlich die Frage zu führen, wer die tatsächlichen Umstände beweisen muss, die zu einer bestimmten Quote führen. Hintergrund dafür ist das Obliegenheitenrecht, das von der Vermutung einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ausgeht. Manche sehen die Praxis überfordert und die Verständlichkeit des Rechts gefährdet, müsste zunächst festgestellt werden, ob der Versicherungsnehmer ihn von dem vermuteten Vorwurf grober Fahrlässigkeit entlastende Umstände beweisen konnte, und, falls nicht, danach geprüft werden, ob der Versicherer solche entlastenden Umstände widerlegt hat, um seine Leistungspflicht kürzen zu können. Theoretisch könnte ein Scheitern des Beweises auf beiden Seiten dann dazu führen, dass an sich ein Kürzungsrecht des Versicherers besteht, weil grobe Fahrlässigkeit vermutet wird, von ihm aber kein Gebrauch gemacht werden kann, weil ein bestimmtes Maß schweren Verschuldens nicht bewiesen ist.
Das ist jedoch allzu dogmatisch gesponnen. Wer die Quotenbildung in erster Linie an objektiven Kriterien, vor allem der "Pflichtverletzung", ausrichtet, wird, stehen sie fest, immer einen bestimmten Punkt auf der Skala zwischen 0 und 100 % haben, der eine erste Quotenbildung ergibt, oder, stehen sie nicht fest, eben die volle Entschädigung zusprechen müssen. Dennoch besteht davon abgesehen natürlich das Problem, wer die Beweislast für ein Mehr oder Weniger an Entschädigung trägt.
Die Annahme, der Versicherungsnehmer müsse sich von besonders schwerem Verschulden entlasten, weil er sich ja auch von grober Fahrlässigkeit entlasten müsse, vermeidet zwar denkbare Brüche in der Begründung des jeweiligen Vorwurfs, widerspricht aber sowohl dem Wortlaut des Gesetzes als auch seinem Sinn und Zweck. Sie fügt im Grunde der Vermutung grober Fahrlässigkeit die Vermutung ihres höchsten Maßes an. In ihrer Konsequenz läge es, eben doch wieder in sehr vielen Fällen zu Allem oder Nichts zu kommen. Im Übrigen wäre die Beweislastverteilung im Anwendungsbereich des § 81 VVG jener im Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 VVG genau entgegengesetzt: Der leicht alkoholisiert fahrende Versicherungsnehmer müsste sich im Kraftfahrzeughaftpflichtregress entlasten, könnte aber dem Angriff auf seinen Kaskoanspruch gelassen entgegensehen.
Eine andere Rechtsauffassung genießt auf den ersten Blick viel Sympathie. Ihr Ausgangspunkt ist zunächst, dass grundsätzlich von grober Fahrlässigkeit mittlerer Art und Güte auszugehen sei. Dann trage der Versicherer die Beweislast für Umstände, die eine Kürzung der Entschädigung um mehr als 50 % begründen können, der Versicherungsnehmer, der mehr als 50 % haben wolle, müsse die dies rechtfertigenden Gründe beweisen. Das dafür ins Feld geführte Argument, jeder trage ohnehin die Beweislast für die ihm günstigen Umstände, ist allerdings durchaus zirkelhaft und viel zu undifferenziert verbunden mit dem postulierten "Halbteilungsgrundsatz". Was soll eigentlich gelten, wenn ein bestimmtes grob fahrlässiges Verhalten – die unfallursächliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – feststeht und an sich mit einer Kürzung der Entschädigung zwischen 25 % und 75 % bewertet werden könnte je nach der konkreten Geschwindigkeit und den sonstigen Verkehrsverhältnissen: Wann würde der "Beweislastwechsel" zum Versicherer einsetzen: bei einer (auf Grund von Spurenzeichnungen und Schadensbildern streitigen) Überschreitung um 10, 20, 30 oder mehr km/h? Der Praxis würden Differenzierungen abverlangt, die zügiger Regulierung nicht zuträglich sind, dem Versicherungsnehmer nicht immer einleuchten und das beweisrechtliche Hin- und Herwenden des Blicks auch nicht entbehrlich machen.
Das Gesetz sieht es daher auch – sowohl bei § 28 Abs. 2 VVG als auch bei § 81 VVG – anders: Der Versicherer, so ist formuliert, darf die von ihm geschuldete Entschädigung nach dem Maß des Verschuldens des Versicherungsnehmers kürzen. Die Quotenbildung ist folglich als Befugnis des Versicherers ausgestaltet ähnlich einem Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB, nur dass sie nicht von billigem Ermessen gesteuert wird. Es ist nicht, was denkbar gewesen wäre, ein Anspruch des Versicherungsnehmers auf einen Teil der Entschädigung statuiert. Ausgangspunkt ist folglich die volle Entschädigung. Der Versicherer, der weniger leisten will, muss – wie es ihn schon bisher bei § 61 VVG a.F. traf – alle Umstände beweisen, die zu einem geringeren Anspruch führen. Das ist auch so gewollt, wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 28 Abs. 2 VVG ausdrücklich ergibt, nach der für das Verschuldensmaß der Versicherer beweispflichtig sein soll. Das entspricht auch dem grundsätzlichen Ansatz der §§ 28 Abs. 2, 81 VVG: Der Versicherungsnehmer genießt für einen eingetretenen Versicherungsfall auch dann Versicherungsschutz mit einem Anspruch auf die volle Entschädigung, wenn er ihn fahrlässig herbeigeführt oder fahrlässig eine ihn treffende Obliegenheit verletzt hat. Das ist ihm gesetzlich (und vertraglich) v...