StGB § 316 Abs. 1; StPO §§ 261, 274
Leitsatz
1. Grundlage einer jeden Protokollberichtigung ist nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH die sichere Erinnerung der Urkundspersonen. Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht mehr berichtigt werden.
2. Vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung müssen die Urkundspersonen zunächst den Beschwerdeführer hören. Widerspricht dieser der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte – der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der Nebenklagevertreter – zu befragen. Halten die Urkundsbeamten trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen der Überprüfung durch das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung.
3. Wenn das vom Großen Senat vorgegebene Verfahren der Protokollberichtigung nicht eingehalten oder nicht durchgeführt wird, gilt das Protokoll ebenfalls in der nicht berichtigten Fassung.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Hamm, Beschl. v. 12.10.2010 – 111-3 RVs 49/10
Sachverhalt
Das AG hat den Angeklagten am 15.12.2009 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 EUR verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch fünf Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Nach den zugrunde liegenden Feststellungen befuhr der Angeklagte am 16.7.2009 gegen 21.26 Uhr mit einem Personenkraftwagen in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand u.a. die W-Straße in Bad Oeynhausen in Richtung Löhne. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen.
Die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten hat das AG zunächst auf Grund der Aussage des ihn anhaltenden Polizeibeamten festgestellt. Nach dessen Wahrnehmung hatte der Angeklagte Alkohol konsumiert und zeigte deutliche, typische alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, insb. einen unsicheren Gang und körperliche Koordinationsschwierigkeiten. Unabhängig von der Feststellung eines konkreten Atem-Blutalkoholwertes könne aus dem Vorliegen des von dem Zeugen beschriebenen Atemalkoholgeruchs und der von ihm geschilderten körperlichen Defizite kein anderer als der Rückschluss gezogen werden, dass der Angeklagte zuvor alkoholisiert ein Fahrzeug geführt hat und hierzu körperlich nicht mehr in der Lage gewesen sei. Dies werde auch dadurch gestützt, dass die Polizeibeamten auf Grund der Beobachtung Dritter alarmiert worden seien, die auf Grund der auffälligen Fahrweise die Polizei in Minden über das Fahrzeug informiert hatten.
"Ohne dass es überhaupt noch hierauf ankäme" – so das AG in seinem Urt. – werde die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten auch durch die entnommene Blutprobe und den nach Auswertung der Blutprobe festgestellten Blutalkoholwert von 2,76 Promille zur Blutentnahmezeit um 22.12 Uhr gestützt. Im Weiteren macht das AG dann Ausführungen zur Verwertbarkeit des Ergebnisses der Blutprobe, deren Entnahme durch die Polizeibeamten und nicht etwa durch einen Richter angeordnet worden war.
Auf die Revision des Angeklagten hebt das OLG das Urt. des AG mit den Feststellungen auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des AG zurück.
2 Aus den Gründen:
"… II. 1. Die zulässige Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO Erfolg. Der Angeklagte hat hierzu vorgetragen, dass das Blutalkoholgutachten vom 20.7.2009 als Beweismittel verwertet worden sei, obwohl dieses Gutachten weder durch Verlesung noch in anderer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, weder im Wege des Vorhalts, noch der Inaugenscheinnahme, des Selbstleseverfahrens, der Befragung von Zeugen oder durch Vernehmung des Sachverständigen."
Der Vortrag der Revision wird bewiesen durch das Hauptverhandlungsprotokoll vom 15.12.2009. Dies lautet auszugsweise wie folgt:
“Beschlossen und verkündet:
Das Blutalkoholgutachten vom 20.7.2009 wird verlesen.’
Mit Beschl. v. 30.9.2010 hat das AG das Sitzungsprotokoll vom 15.12.2009 auf Anregung der Generalstaatsanwaltschaft Hamm dahingehend berichtigt, dass unter den vorbezeichneten Passus des Hauptverhandlungsprotokolls der Satz eingefügt wurde:
“Der Beschl. wurde ausgeführt.’
Eine derartige Protokollberichtigung hatte die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm mit Schreiben vom 9.8.2010 angeregt. Zu diesem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft hatte der Verteidiger des Angeklagten Stellung genommen, und zwar auch zur Frage der Protokollberichtigung. Zur eigentlichen Protokollberichtigung selbst durch das AG ist weder der Angeklagte noch der Verteidiger gehört worden. Es sind auch keine dienstlichen Äußerungen der Protokollbeamten – Richterin und Protokollführerin – eingeholt worden. Vielmehr erfolgte die Protokollberichtigung ...