BGB §§ 254 Abs. 1, 426 Abs. 1, 823 Abs. 1; StVG §§ 7, 8 Nr. 2; StVO § 15 S. 2
Leitsatz
1. Bei mehreren nebeneinander verantwortlichen Schädigern besteht zum Geschädigten grundsätzlich die volle Haftung, da keiner der weiteren Schädiger sich entlastend auf die jeweiligen Tatbeiträge der anderen Schädiger verweisen kann. Lediglich im Innenverhältnis der Schädiger ist der Ausgleich der Tatbeiträge gem. § 426 BGB durchzuführen.
2. Ein Mitverschuldensvorwurf kann gegen einen Unfallhelfer nicht erhoben werden, wenn er die aus rückwirkender Betrachtung vernünftigste Maßnahme zur Hilfeleistung nicht erbracht hat, weil er sowohl das Ausmaß der Gefährdung wie die Hilfsbedürftigkeit der von dem Unfall betroffenen Verkehrsteilnehmer nicht erkannt hat.
3. Leisten ansonsten an dem Betrieb des Kfz unbeteiligte Personen nur gelegentlich Hilfeleistungen, scheidet ein Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG in der Regel aus.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 5.10.2010 – VI ZR 286/09
Sachverhalt
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 30.12.2002, bei dem er als Unfallhelfer verletzt wurde.
Der Beklagte zu 3) fuhr mit einem Pkw, dessen Halter die Beklagte zu 4 und dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte zu 5) ist, bei einsetzendem Schneefall auf der BAB 4. Er geriet ins Schleudern, kollidierte mit der Leitplanke am rechten Fahrbahnrand und kam auf dem Seitenstreifen zum Stehen. Er schaltete das Warnblinklicht ein. Der Kläger, der mit seinem Pkw hinter dem Pkw des Beklagten zu 3) gefahren war, hielt vor dem Unfallfahrzeug auf dem Seitenstreifen an. Er schaltete bei seinem Pkw das Warnblinklicht ein und begab sich zum Pkw des Beklagten zu 3) zurück. Nachdem er sich nach dessen Befinden erkundigt hatte, wollte er zur Absicherung der Unfallstelle das Warndreieck aus dem Kofferraum des Fahrzeugs des Beklagten zu 3) entnehmen. Als der Kläger mit dem Rücken zur Fahrtrichtung stand und den Kofferraum öffnen wollte, näherte sich der vom Beklagten zu 1) gelenkte Pkw, dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte zu 2) ist, auf dem mittleren von drei Fahrstreifen. Der Pkw des Beklagten zu 1) geriet ebenfalls ins Schleudern und erfasste den Kläger, der dabei schwer verletzt wurde.
Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden in Anspruch, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Das LG hat mit Grund- und Teilurteil die Zahlungsanträge des Klägers dem Grunde nach zu 5/6 für gerechtfertigt erklärt. Von dieser Quote hätten alle Beklagten 19/30 als Gesamtschuldner, die Beklagten zu 1) und 2) weitere 10/30 als Gesamtschuldner und die Beklagten zu 3) bis 5) weitere 1/30 als Gesamtschuldner zu tragen. Dem Feststellungsantrag hat es in Höhe der genannten Quoten entsprochen. Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Beklagten zu 1) und 2 Berufung eingelegt. Die Beklagten zu 3) bis 5) haben ihre Berufung zurückgenommen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Klageanträge dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, wobei sämtliche Beklagten zu zwei Drittel als Gesamtschuldner und die Beklagten zu 1) und 2) zu einem weiteren Drittel als Gesamtschuldner haften. Das Berufungsgericht hat die Haftung der Beklagten für künftige Schäden in entsprechender Weise festgestellt. Es hat die Revision für den Kläger und die Beklagten zu 1) und 2) zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Die Beklagten zu 1) und 2) erstreben die Aufhebung des Berufungsurteils und die Abweisung der Klage, soweit sie zur Haftung von mehr als einem Drittel verurteilt worden sind.
2 Aus den Gründen:
[4] "I. Das Berufungsgericht hält die Berufung des Klägers, soweit sie sich gegen die Beklagten zu 1) bis 2) richtet, für begründet. Die Berufung der Beklagten zu 1) bis 2) sei hingegen unbegründet, weil diese gegenüber dem Kläger in vollem Umfang hafteten. Dem Beklagten zu 1) falle ein unfallursächliches Verschulden zur Last, weil er mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren sei. Sein Fahrzeug sei deswegen ins Schleudern geraten und habe den Kläger erfasst. Dem Kläger könne nicht als unfallursächliches Mitverschulden angelastet werden, dass er die nach seiner Auffassung dem Beklagten zu 3) obliegende Verpflichtung zur Absicherung der Unfallstelle durch Aufstellen eines Warndreiecks übernommen habe. Zwar sei der Verkehrsteilnehmer, der bei einem Unfall oder bei einer Panne Hilfe leiste, verpflichtet, sich um eigenen Schutz zu bemühen. Er habe Risiken, bei seiner Hilfeleistung selbst verletzt zu werden, möglichst zu vermeiden. Die Fehleinschätzung hinsichtlich der nach § 15 StVO erforderlichen Maßnahmen könne dem Kläger aber nicht vorgeworfen werden. Die an einen Unfallhelfer zu stellenden Anforderungen würden ansonsten bei weitem überspannt, zumal in der Unfallsituation schnelles Handeln gefragt sei und eine Einzelabwägung, zu der in der Rspr. unterschiedli...