ZPO § 286; BGB § 830
Leitsatz
Kann ein VN, der seinen Wohngebäudeversicherer gewechselt hat, nicht i.S.v. § 286 ZPO nachweisen, zu welcher Zeit ein Leitungswasserschaden eingetreten ist, so dass nicht geklärt werden kann, welcher der VR einzustehen hat, geht diese Unklarheit zu Lasten des VN. Die Beweisnot des VN kann weder prozessrechtlich noch materiell-rechtlich überwunden werden.
OLG Celle, Urt. v. 10.5.2012 – 8 U 213/11
Sachverhalt
Der Kl. macht Versicherungsleistungen wegen eines Leitungswasserschadens in seinem Haus geltend, für das er bis zum 30.6.2003 eine Wohngebäudeversicherung bei der Streithelferin, ab dem 1.7.2003 bei der Bekl. unterhielt. Am 24.7.2004 stellte er in der Küche Durchfeuchtungen fest, für die eine Leckage an der Kaltwasseranschlussleitung des Geschirrspülers in der Küche ursächlich war.
Der von der Bekl. beauftragte Dipl.-Ing. S äußerte sich dahingehend, es könne "aufgrund des zuvor beschriebenen Schadenbildes ( … ) zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass der hier in Rede stehende Schaden ursächlich bereits vor Beginn des aktuellen Versicherungsvertrages entstanden sein muss".
Demgegenüber heißt es in dem von der Streithelferin veranlassten Gutachten des Dipl.-Ing. H: "Der Schadenverlauf und der Schadenumfang ( … ) verweisen aus Sicht der Sachverständigen eindeutig darauf, dass der Schaden maximal nur wenige Monate, vielleicht sogar nur einige Wochen vor Schadenfeststellung eingetreten ist."
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil nicht bewiesen sei, das der Versicherungsfall, also der erstmalige schadensbegründende Austritt von Leitungswasser aus dem Leck in der Kaltwasserleitung, innerhalb des vom Versicherungsverhältnis mit der Bekl. umfassten versicherten Zeitraums ereignet habe.
2 Aus den Gründen:
“ … 2. Auch inhaltlich begegnet das angefochtene Urt. keinen durchgreifenden Bedenken. Die Beweisnot des Kl. kann weder prozessrechtlich (a) noch materiellrechtlich (b) überwunden werden.
a) § 286 Abs. 1 ZPO regelt zweierlei: zum einen die (sog. freie) Beweiswürdigung als Vorgang, zum anderen das sog. Beweismaß, das heißt die persönliche Gewissheit des Richters dergestalt, dass vernünftige Zweifel schweigen. Absolute/mathematische Gewissheit darf, weil nicht erreichbar, nicht verlangt werden. Keinesfalls aber genügt im Anwendungsbereich von § 286 ZPO, dass es “gut möglich’ oder “überwiegend wahrscheinlich’ ist, dass ein streitiges Geschehen sich entsprechend der Behauptung der beweisbelasteten Partei zugetragen hat, oder die eine Darstellung des Sachverhalts eher zuzutreffen scheint als die des Gegners. Der Richter darf und muss in tatsächlich zweifelhaften Fällen einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit fordern bzw. sich mit einem solchen begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Notwendig ist die persönliche Gewissheit des zur Entscheidung berufenen Richters. Dieser hat ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er die ohnehin fast immer möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Unschädlich ist, ob Andere zweifeln oder in der gleichen Situation zu einer anderen Auffassung gelangen würden (BGHZ 53, 245, 256). Letzte, fernliegende und nicht völlig auszuschließende Zweifel sollen der Überzeugung nicht entgegenstehen.
aa) Diesem Maßstab und der Darlegungspflicht nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO genügt das landgerichtliche Urt.
Der Umstand, dass der Kl. den Wasserschaden erst etwas mehr als ein Jahr nach Beginn des Versicherungsverhältnisses mit der Bekl. bemerkt hatte, spricht für sich genommen dafür, dass die Leckage nicht bereits vor dem 1.7.2003, sondern während des Bestandes des Versicherungsverhältnisses mit der Bekl. aufgetreten ist. Diese Alternative mag wahrscheinlicher sein als diejenige, die der Kl. seinem Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens, gerichtet gegen die Streithelferin als Vorversicherer, zugrunde gelegt hat. Dort hatte der Kl. in seiner Antragsschrift noch die Auffassung vertreten, dass nur durch einen länger zurückliegenden Leitungswasserschaden die vorgefundenen Schadenauswirkungen wie Holzfäulnis in der Wand- und Fußschwellenkonstruktion sowie Schimmelpilzbildung zu erklären seien. Mit bloßen Wahrscheinlichkeiten aber ist den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO nicht zu genügen. Legt man die Erkenntnisse aus dem selbstständigen Beweisverfahren zugrunde, ist es nicht möglich, sich eine ausreichende Gewissheit davon zu verschaffen, ob die Leckage vor oder nach dem 1.7.2003 eingetreten war. Ursache der Leckage war Lochfraß und damit ein progredient verlaufender Vorgang, sodass auch der Umstand, dass zuletzt etwa 70 Liter pro Tag an Wasser ausgetreten sein sollen, nichts dafür hergibt, wie viel Wasser Wochen oder Monate vorher ausgetreten war. Mit diesem Umstand relativiert sich auch die Aussage des Kl., er habe bei Bauarbeiten wenige Monate vor der Feststellung des Schadens noch keine Feuchtigkeit bemerkt (Klagschrif...