ZPO § 91 Abs. 1 und 2
Leitsatz
Beauftragt eine am späteren Ort des Prozessgerichts nicht ansässige Partei unmittelbar nach einem Unfallereignis einen an ihrem Wohnsitz ansässigen Rechtsanwalt mit der zunächst außergerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche, der dann auch mit der gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche beauftragt wird, so sind die Terminsreisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts auch dann erstattungsfähig, wenn die Partei zum Prozessbeginn an einen Wohnort in der Nähe des Prozessgerichts umzieht.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG München, Beschl. v. 12.6.2012 – 11 W 58/12
Sachverhalt
Der Kl. hatte wegen eines im Jahr 2004 erlittenen Jagdunfalls die beklagte Versicherung mit Sitz in Coburg auf Leistungen aus einer Unfallversicherung vor dem LG München II in Anspruch genommen. Zum Unfallzeitpunkt hatte er noch in Frankfurt/Main gewohnt und sich kurz nach diesem Unfall zu einer Reihe von weiteren damit zusammenhängenden Prozessen der in Frankfurt ansässigen Rechtsanwälte bedient, die ihn nunmehr auch im Rechtsstreit vor dem LG München II als Prozessbevollmächtigte vertreten haben. Bei der Mandatserteilung spielten insb. die medizinischen Gegebenheiten des Falles eine wesentliche Rolle.
Im Kostenfestsetzungsverfahren machte der erstattungsberechtigte Kl. die Terminsreisekosten seiner Frankfurter Prozessbevollmächtigten nach München geltend. Die Rechtspflegerin des LG hat diese lediglich in Höhe der fiktiven Kosten der Anreise eines am nunmehrigen Wohnort des Kl. ansässigen Anwalts nach München berücksichtigt. Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde machte der Kl. geltend, bei Einschaltung eines weiteren Anwalts wäre eine zusätzliche, nicht – wie es bei der vorliegenden Mandatsgestaltung der Fall war – der Anrechnung unterliegende, Geschäftsgebühr entstanden, sodass die Bestellung seiner Frankfurter Rechtsanwälte als Prozessbevollmächtigte letztlich für die Bekl. kostengünstiger wäre. Außerdem sei fraglich gewesen, bei welchem Gericht der Rechtsstreit zu führen war.
Die sofortige Beschwerde hatte beim OLG München Erfolg.
2 Aus den Gründen:
“ … 1. Die Kosten eines sog. “Rechtsanwalts am dritten Ort’ sind regelmäßig nur in Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohnort des Kl. ansässigen Anwalts erstattungsfähig (vgl. zuletzt etwa BGH RVGreport 2012, 191 (Hansens) = NJW-RR 2012, 697; RVGreport 2007, 236 (ders.) = AGS 2008, 260; RVGreport 2011, 468 (ders.) = AGS 2012, 47; Senat, Beschl. v. 2.2.2012 – 11 W 201/12; Gerold/Schmidt-Madert/Müller-Rabe, RVG, 19, Aufl., Nr. 7005, 7006 VV RVG Rn 25 ff., jeweils m.w.N.).
Richtig ist auch, dass selbst eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt hieran nichts ändert, vgl. etwa BGH NJW 2010, 1882. Ferner ist vom BGH mehrfach entschieden, dass eine bereits vorprozessuale Tätigkeit der später eingeschalteten auswärtigen Anwaltskanzlei eine entsprechende Erstattungsfähigkeit grds. nicht zu begründen vermag (BGH RVGreport 2012, 191 u. RVGreport 2007, 236 = AnwBl. 2007, 465; Madert/Müller-Rabe, a.a.O., Rn 26).
2. Unter besonderen Voraussetzungen sind von diesem Grundsatz jedoch Ausnahmen möglich, siehe z.B. BGH RVGreport 2011, 346 = zfs 2011, 526 m. Anm. Hansens u. BGH NJW 2010, 1882; Madert/Müller-Rabe, a.a.O., Rn 28 ff.
Vom Vorliegen derartiger Voraussetzungen, die zur ausnahmsweisen Erstattungsfähigkeit der Kosten eines “Anwalts am dritten Ort’ führen, ist hier auszugehen:
a) Soweit der BGH eine bereits vorprozessuale Tätigkeit des auswärtigen Anwalts als nicht ausreichend erachtet um die Erstattungsfähigkeit von dessen Reisekosten begründen zu können, beruht dies auf der Erwägung, eine vernünftige und kostenorientierte Partei werde bereits für die vorprozessuale Tätigkeit einen Anwalt an ihrem Wohnort beauftragen; maßgeblicher Zeitpunkt sei insoweit bereits die Beauftragung des Anwalts mit der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung (BGH RVGreport 2012, 191 u. RVGreport 2007, 236; Madert/Müller-Rabe, a.a.O., Rn 26).
Dieser Gesichtspunkt spricht hier jedoch nicht gegen den Kl., denn genau dies hat er – als damals in Frankfurt wohnhaft – getan. Unstreitig bediente er sich zur Führung auch weiterer im Zusammenhang mit dem Unfall stehender Prozesse der in Frankfurt ansässigen Kanzlei seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten.
b) Richtig ist ferner, dass selbst eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt alleine kein Grund ist, diesen für den Rechtsstreit bei einem auswärtigen Gericht zu mandatieren (siehe oben 1.). Andererseits kann nach der – bereits vom Kl. zitierten – Rspr. des BGH auch von einer kostenbewussten Partei nicht erwartet werden, auf einen mit der Sache bereits vertrauten Rechtsanwalt zu verzichten und andere, am neuen Wohnort ansässige, Anwälte zu beauftragen (vgl. etwa BGH zfs 2004, 473). Inwiefern dieser Gesichtspunkt generell trägt und insb. mit der neuesten Rspr. des BGH übereinstimmt, braucht nicht entschieden zu werden, denn jedenfalls hier ist davon auszugehen, dass der Kl. bereits unmittelbar nach dem Unfall anwaltliche Hil...