VVG a.F. § 6 Abs. 3 S. 2 = VVG § 28 Abs. 3; AHB § 5 Ziff. 1 § 4 II. 1. S. 1
Leitsatz
1. Vorsätzlich führt ein VN einen Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung nur herbei, wenn er sich auch die Folgen seiner Verletzungshandlung in ihren Grundzügen vorgestellt hat.
2. Der VN hat den Kausalitätsgegenbeweis bei Verletzung der Anzeigeobliegenheit in der Haftpflichtversicherung geführt, wenn der VR sich allein darauf beruft, er hätte bei Erfüllung der Anzeigeobliegenheit einen Abfindungsvergleich geschlossen, der Geschädigte aber glaubhaft bekundet, dazu nicht bereit gewesen zu sein.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Dortmund, Urt. v. 28.3.2012 – 2 O 144/10
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. aus einer bei dieser genommenen Haftpflichtversicherung in Anspruch. Am 2.12.2007 begab er sich in M auf einen Kneipenbummel. In den frühen Morgenstunden des 3.11.2007 suchte er die Gaststätte "U" in M auf. Er war bereits erheblich alkoholisiert und bestellte sich ein alkoholisches Mischgetränk. Als ihm dieses nicht schmeckte, schmiss er das Glas gegen eine Wand. Dazu rief er aus "Das schmeckt scheiße hier". Der Zeuge S forderte den Kl. sodann auf, das Bistro zu verlassen. Daraufhin erwiderte der Kl.: "Was willst du. Ich poliere dir gleich die Fresse." Der Zeuge S bat im Anschluss einen Kollegen, die Polizei zu rufen. Er ging zu dem Kl., um ihn erneut anzusprechen und aus dem Bistro zu bitten. Als der Zeuge S sich dem Kl. näherte, schob dieser seine Ärmel rechts und links hoch, nahm eine Boxerhaltung ein und machte einen Schritt auf den Zeugen S zu. Der Zeuge S hat dabei Respekt bekommen, da der Kl. energisch aussah, so dass er es für sinnvoll hielt, rückwärts zu gehen. Dabei rutschte er in der Lache des durch den Kl. verschütteten Getränkes auf dem Fußboden aus und verletzte sich am Arm. Er erlitt eine Radiusköpfchenmeißelfraktur am linken Ellenbogen.
Der Zeuge S nahm den Kl. – zunächst erfolglos außergerichtlich mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten v. 21.2.2008 – auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch. Er erwirkte sodann gegen den Kl. vor dem AG L ein Versäumnisurteil auf Zahlung und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz allen künftigen materiellen und immateriellen Schadens.
Der Kl. wandte sich am 26.2.2009 an die L, die bei der Aufnahme von Schäden für die Bekl. handelte. Sie hat mit der U3, die der Kl. für eine Agentin der Bekl. ansieht, entsprechend der von der Bekl. vorgelegten "Courtagezusage für Versicherungsmakler" eine Vereinbarung geschlossen.
Der Kl. behauptet, er habe sich nach dem Vorfall an seinen (späteren) Schwager, den Zeugen T, Mitarbeiter der U3, gewandt und diesen beauftragt, sich für ihn mit dem Streithelfer der Bekl. in Verbindung zu setzen und den Schaden anzuzeigen.
2 Aus den Gründen:
“ … Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet. Die Bekl. ist grds. eintrittspflichtig. Sie hat daher im titulierten Umfange Deckung zu gewähren.
I. Der Kl. hat gegen die Bekl. gem. § 1 Abs. 1, S. 1 VVG a.F. i.V.m. der bei dieser genommenen Privathaftpflichtversicherung Anspruch auf Versicherungsschutz für den vorliegenden Versicherungsfall. Dem steht weder der von der Bekl. in Anspruch genommene Ausschluss gem. § 4 II. 1. S. 1 AHB 2002 noch eine Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung entgegen.
1. Der Versicherungsfall, definiert in § 5 Ziff. 1. der AHB 2002, ist eingetreten. Unzweifelhaft konnte der Vorfall vom 3.11.2007 Haftpflichtansprüche gegen den Kl. zur Folge haben.
2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kl. vorsätzlich i.S.d. Ausschlusses des § 4 II. 1. S. 1 AHB 2002 handelte. Vorsatz ist das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs. Der Vorsatz muss dabei anders als bei § 823 Abs. 1 BGB nicht nur die haftungsbegründende Verletzungshandlung, sondern auch die Verletzungsfolgen umfassen (BGH VersR 1998, 1011 … ). Hierbei genügt auch bedingter Vorsatz. Dieser liegt vor, wenn der Täter den als möglich vorgestellten Erfolg in seinen Willen aufgenommen und für den Fall seines Eintritts gebilligt hat. Der Täter muss dabei die Folgen seines Handelns nicht in allen Einzelheiten vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Ausreichend ist es vielmehr, wenn er sich die Folgen zumindest in ihren Grundzügen vorgestellt hat. Das schließt es aus, dem VN Schadensfolgen zuzurechnen, die er nicht oder nicht in ihrem wesentlichen Umfang als möglich erkannt und für den Fall ihres Eintritts nicht gewollt oder im Sinne bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat. Verletzungen, die durch einen von den Vorstellungen des Täters über den Schadensverlauf wesentlich abweichenden Geschehensablauf entstanden sind und die nach Art und Schwere wesentlich von den Körperverletzungen abweichen, wie er sie sich vorgestellt hat, werden von einem auf “Körperverletzung’ gerichteten Vorsatz nicht umfasst (OLG Düsseldorf VersR 1977, 745 … ). Dabei muss unstreitig der VR ein vorsätzliches Handeln i.S.d. Ausschlusstatbestandes beweisen. Zu seinen Lasten geht es daher, wenn die innere Einstellung des Täters zur Tat nic...