ZPO § 149
Leitsatz
§ 149 ZPO ermöglicht die Aussetzung eines Zivilverfahrens, wenn bereits vor dem Zivilverfahren an anderer Stelle der Verdacht einer Straftat besteht und im Hinblick auf diesen ausgesetzt werden soll.
BGH, Beschl. v. 24.4.2018 – VI ZB 52/16
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. wegen Anlagebetrugs auf Schadensersatz in Anspruch. Nach Erwirkung eines Arrestbeschlusses erhob der Kl. im Oktober Klage vor dem LG Hamburg. Im Januar 2015 erhob die StA Frankfurt am Main nach Ermittlungen seit 2011 Anklage u.a. gegen die Bekl. Auf Antrag des Kl. setzte das LG Hamburg das Verfahren bis zur Erledigung des Strafverfahrens nach § 149 Abs. 1 ZPO aus. Nachdem die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde erfolglos war, legten die Bekl. die zugelassene Rechtsbeschwerde ein, die der BGH zurückwies.
2 Aus den Gründen:
"… [11] III. Die Rechtsbeschwerden sind statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Sie sind aber unbegründet."
[12] 1. Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass das Vorliegen des Aussetzungsgrundes uneingeschränkt zu überprüfen ist (BGH NJW-RR 2006, 1289 Rn 6; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 252 Rn 8). Ebenso zutreffend geht es davon aus, dass ein solcher gegeben ist.
[13] a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden ermöglicht § 149 Abs. 1 ZPO die Aussetzung eines Zivilverfahrens auch dann, wenn bereits vor dem Zivilverfahren an anderer Stelle der Verdacht einer Straftat besteht und im Hinblick auf diesen ausgesetzt werden soll (vgl. OLG Köln VersR 1973, 473; BeckOK ZPO/Wendlandt, 27. Ed., 12/2017, § 149 Rn 4; MüKoZPO/Fritsche, 5. Aufl. 2016, § 149 Rn 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl. 2018; Smid, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 149 Rn 2; Dörr, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 149 Rn 1).
[14] aa) Der Wortlaut der Norm, wonach das Gericht, wenn sich "im Laufe eines Rechtsstreits" der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen kann, steht dem nicht entgegen. Denn die Norm richtet sich an das Zivilgericht und ermächtigt es, nach eigenständiger Prüfung das Verfahren unter den näher beschriebenen Voraussetzungen auszusetzen. Die Wendung "im Laufe des Rechtsstreits" ist im Kontext mit dem Adressaten der Norm daher so zu verstehen, dass es auf den – naturgemäß erst nach Beginn des Zivilverfahrens – entstehenden Verdacht des mit der Sache befassten Zivilgerichts ankommt (so auch schon OLG Köln VersR 1973, 473; OLG Frankfurt a.M. VersR 1982, 656; zust. Stein/Jonas/Roth, § 149 Rn 3; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 149 Rn 2).
[15] bb) Dies entspricht auch Sinn und Zweck des Gesetzes. Denn der Normzweck besteht darin, es dem Zivilgericht zu ermöglichen, die Ermittlungen und den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten, um abweichende Entscheidungen und nicht prozessökonomische Mehrarbeit zu vermeiden (Stein/Jonas/Roth, § 149 Rn 1 u. 4; Dörr, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 149 Rn 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 149 Rn 2; BeckOK ZPO/Wendlandt, § 149 Rn 1; Wöstmann, in: Sänger, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 149 Rn 1; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 149 Rn 1). Diese Gesichtspunkte greifen aber unabhängig davon Platz, ob der Verdacht einer Straftat vor oder erst nach Beginn eines Zivilrechtsstreits entsteht.
[16] b) Soweit die Rechtsbeschwerden die auf einen Beschluss des OLG Celle (NJW 1969, 280) gestützte Ansicht vertreten, ein Aussetzungsgrund bestehe nicht, wenn es sich in Straf- und Zivilverfahren um denselben Sachverhalt handele, ist dem nicht zu folgen. Die Auffassung wird damit begründet, die Ermittlung der strafbaren Handlung sei nicht von Einfluss auf das Zivilverfahren, weil das Zivilgericht die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht ohne Weiteres verwerten dürfe. Die von den Rechtsbeschwerden damit unterstellte völlige Unabhängigkeit von Zivil- und Strafverfahren besteht jedoch so nicht (vgl. BGHSt 25, 24 = NJW 1973, 206 [207] a.E.; OLG Frankfurt a.M. VersR 1982, 656). Das Gesetz geht davon aus, dass die Ermittlungen im Strafverfahren auf die Entscheidung des Zivilrechtsstreits von Einfluss sein können. Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften der §§ 149, 411a, 581 ZPO bewusst weitere Verzahnungen zwischen den Verfahren geschaffen. Gerade mit dem 2006 ergänzten § 411a ZPO sollen Ergebnisse des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens in Form von Sachverständigengutachten im Zivilverfahren verwertet werden können (BT-Drucks 16/3038, S. 38 r.Sp.). Daher ist bei Sachverhaltsidentität eine Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten (Stadler, in: Musielak/Voit, § 149 Rn 4; Stein/Jonas/Roth, § 149 Rn 4; Dörr, in: Prütting/Gehrlein, § 149 Rn 5). Die behauptete Straftat i.S.d. § 149 Abs. 1 ZPO kann zugleich Grundlage des zivilrechtlichen Anspruchs sein (OLG Köln VersR 1973, 473; OLG Hamburg MDR 1975, 669 [670]; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1531; OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.1.2014 – 7 W 33...