Grundlagen und aktuelle Entwicklungen
A. Einleitung
Die fiktive Abrechnung von Kraftfahrzeugschäden ist seit ihrer höchstrichterlichen Anerkennung umstritten. Geradezu wellenförmig bauen sich immer wieder Widerstände auf. Die wiederholte Beschäftigung des Verkehrsgerichtstags zeugt davon ebenso wie zahlreiche Aufsätze und Monographien zu diesem Thema. Die letzte große Welle datiert auf die Jahrtausendwende, als im Zuge der Reform des Schadensersatzrechts durch das 2. Schadensrechtsänderungsgesetz auch die Frage im Raum stand, die fiktive Abrechnung bei Kfz-Schäden ganz zu versagen oder sie zumindest um die nicht angefallenen öffentlichen Abgaben zu mindern. Das Ergebnis kennen Sie, der Gesetzgeber hat – aus Vereinfachungsgründen – die kleine Lösung gewählt und lediglich den Ersatz nicht angefallener Umsatzsteuer versagt. Im Übrigen hat er die weitere Entwicklung der Rechtsprechung überlassen. Diese hat die Aufgabe unter der Zielsetzung der Novellierung, die Attraktivität der fiktiven Abrechnung zu mindern, angenommen. Zuletzt hat sogar der VII. Zivilsenat die fiktive Abrechnung des sog. kleinen Schadensersatzes nach Werkmängeln gänzlich untersagt. Das hat sogleich jene auf den Plan gerufen, die ohnehin der fiktiven Abrechnung kritisch gegenüberstehen und eine Abkehr von der fiktiven Abrechnung sämtlicher Schäden einschließlich des Kfz-Schadens begründet sehen. Es ist nunmehr Zeit für die Frage, in welchem Umfang die fiktive Abrechnung von Kfz-Schäden noch Bestand hat oder ob sie sogar vor ihrer Ablösung steht.
B. Grundlagen der fiktiven Schadensabrechnung
I. Begriff und Rechtsgrundlage
Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte, der einen Personen- oder Sachschaden erlitten hat, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Aus dieser sog. Ersetzungsbefugnis leitet sich die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats ab, wonach der Geschädigte, der einen Fahrzeugschaden erlitten hat, den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen kann, unabhängig davon ob er diesen Betrag zur Wiederherstellung ganz, teilweise oder nicht einsetzt. Es steht ihm also frei, über diesen Betrag zu disponieren (Dispositionsfreiheit). Fiktiv oder auch abstrakt nennt man diese von der Durchführung der Wiederherstellung losgelöste Schadensberechnung, weil sie sich anders als die konkrete Schadensabrechnung nicht an einem tatsächlichen Aufwand bemisst, sondern an einem gedachten, also fiktiven Aufwand aufgrund einer Prognose über die dabei zu erwartenden Kosten, die meist in Form eines Sachverständigengutachtens erfolgt.
Dass die Dispositionsfreiheit nicht selbstverständlich ist, zeigt schon der Umstand, dass die Rechtsprechung zur fiktiven Schadensabrechnung auf andere Sachschäden nicht ohne Weiteres übertragen werden kann, jedenfalls dann wenn die Reparatur wegen Veräußerung oder Untergang der Sache nicht mehr möglich ist. Auch ist selbst nach Ansicht des VI. Zivilsenats der Ersatz von Heilbehandlungskosten bei Personenschäden, auf die § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Wortlaut nach ja ebenfalls Anwendung findet, nicht möglich, wenn eine Heilbehandlung nicht stattfindet.
Der Gesetzgeber des BGB hat zur Frage der fiktiven Schadensabrechnung keine eindeutige Regelung getroffen. Der Begriff des "erforderlichen" Geldbetrags i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann sich sowohl auf die gedachte als auch auf die durchgeführte Wiederherstellung beziehen. Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich dazu nichts Eindeutiges entnehmen. Ausdrücklich ist die Frage offensichtlich nicht behandelt worden, wohl schon deshalb, weil das Massenphänomen des Kfz-Schadens zur damaligen Zeit noch unbekannt war. Aus den Protokollen lässt sich eine Antwort immerhin ableiten. Die Ersetzungsbefugnis basiert, wie Weber anschaulich herausgearbeitet hat, vor allem auf der Erwägung, es sei dem Geschädigten nicht zumutbar, seine Sache dem Schädiger zur Reparatur überlassen zu müssen, auch weil damit Streit über das Gelingen der Naturalrestitution vorprogrammiert sei. Daraus kann man folge...