StVG § 7 § 17
Leitsatz
Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kfz zu einem schädigenden Ereignis, dass der Fahrer über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch die Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.
OLG Celle, Urt. v. 15.5.2018 – 14 U 175/17
1 Sachverhalt
Der Verkehrsunfall ereignete sich an einer ampelgeregelten Kreuzung. Der Bekl. zu 1) fuhr bei für ihn in seiner Fahrtrichtung geltendem Grünlicht mit seiern PKW über die Haltelinie und kam verkehrsbedingt im Bereich zwischen Haltelinie und Kreuzungsviereck zum Stehen. Nachdem die Kreuzung frei war, fuhr er bis zum Kreuzungsviereck or. In diesem Augenlick setzte der kreuzende Linksabbiegererkehr ein, für den grün galt. Zu ihm gehörte die Kl., die das Anfahrmanöver des Bekl. bemerkt hatte. In der Befürchtung, der Bekl. werde in den Kreuzungsbereich einfahren und amit mit ihrem Fahrzeug kollidieren, nahm sie eine Vollbremsung vor. Das der VN der Kl. folgende Fahrzeug fuhr auf das versicherte Fahrzeug auf.
Die Kl. regulierte den Schaden an dem versicherten Kfz und nahm die Bekl. in Regress. Das LG wies die Klage ab Auf die Berufung der Kl. erkannte der Senat eine Haftung des Bekl. aus Betriebsgefahr i.H.v. 20 % an.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Der Kl. steht gegen die Bekl. als Gesamtschuldner ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der an die Zeugin S. erstatteten Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 27.7.2016 auf der Kreuzung S-Straße/M-Straße/B-Allee in H. gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 249 ff. BGB, 86 Abs. 1 VVG i.H.v. 1.281,70 EUR zu. Die Bekl. haften dem Grunde nach quotal für die Unfallfolgen aus Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs, welche hier mit 20 % zu bemessen ist."
a) Die der Zeugin S. durch das Auffahren der Zeugin H. auf den Pkw der Zeugin S. entstandenen Schäden sind bei Betrieb des Beklagtenfahrzeugs i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG entstanden.
(1) Beim Betrieb eines Fahrzeugs hat sich ein Unfall ereignet, wenn sich eine Gefahr realisiert, die mit dem Fahrzeug als Verkehrsmittel verbunden ist. Dabei hat das LG zutreffend erkannt, dass es für eine Zurechnung der Betriebsgefahr nicht auf einen Kontakt der am Unfall beteiligten Fahrzeuge ankommt. Der Begriff "bei dem Betrieb" ist weit zu fassen (BGH NVZ 2014, 207). Ausreichend ist, dass bei einer wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kfz zumindest mitgeprägt worden ist (BGH NZV 2015, 327). Dabei reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kfz an einer Unfallstelle nicht aus. Vielmehr ist ein naher zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang des Kfz erforderlich, wobei sich eine vom Kfz ausgehende Gefahr ausgewirkt haben muss, mithin das Fahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben muss (BGH NJW 2017, 1173).
(2) Vorliegend ist von einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang des Betriebs des Beklagtenfahrzeugs zu dem Bremsmanöver der Zeugin S. und dadurch bedingten Auffahren der Zeugin H. auszugehen. Der Bekl. zu 1 hatte unstreitig mit seinem Fahrzeug von der S-Straße kommend die für Ihn geltende Haltelinie im Bereich der Kreuzung S-Straße/M-Straße/B-Allee überfahren und war zunächst im Bereich zwischen Haltelinie und Kreuzungsviereck – verkehrsbedingt – zum Stehen gekommen. Zur Überzeugung des Senats (dazu unten) ist der Bekl. zu 1 – nachdem die Kreuzung wieder frei war – dann jedoch zumindest bis in den Bereich des Kreuzungsvierecks vorgefahren, während der von der B. Allee kommende Linksabbiegeverkehr schon grün hatte. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugin S. hatte diese aufgrund dieses Fahrmanövers des Bekl. zu 1 die Sorge, er würde ihre Fahrspur kreuzen, so dass diese eine Vollbremsung durchgeführt hat.
Für die Haftung der Bekl. aus Betriebsgefahr kann dabei dahinstehen, ob das Bremsmanöver der Zeugin S. zur Vermeidung einer Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug objektiv oder subjektiv erforderlich war oder sich als einzige Möglichkeit darstellte, eine Kollision zu vermeiden und ob der Bekl. zu 1 sein Fahrzeug nach Erkennen des bevorrechtigten Verkehrs mit Abstand zur Linksabbiegerfahrspur der Zeugin S. wieder zum Stehen gebracht hat, da auch ein Unfall infolge einer voreiligen, objektiv nicht erforderlichen (Über-)Reaktion dem Betrieb des Kfz zuzurechnen ist, das diese Reaktion ausgelöst hat (BGH NJW 2010, 3713; OLG Brandenburg, Urt. v. 12.9.2017 – 12 U 1/17, juris).
b) Ein Fall höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG liegt offenkundig nicht vor.
c) Keine der am Verkehrsunfall beteiligten Parteien kann Unabwendbarkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG für sich in Anspruch nehmen.
(1) Die Zeugin H. hat gegen die Pflichten aus §§ 3 Abs. 1 S. 4, 4 Abs. 1 S. 1, 1 StVO verstoßen, da sie – wie sich aus dem Unfallgeschehen zeigt – nicht mit der gebotenen besonderen Aufmerksamkeit und erhöhten Bremsbereitschaft (vgl. dazu KG NZV 2013, 80) im durch Lichtzeichenanlagen geregelten Kreuzungsberei...