VVG § 180; AUB 2008 2.1.2
Leitsatz
In der Unfallversicherung ist bei einer distalen Radiusfraktur, die zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Handgelenkes führt, für eine Invaliditätsbemessung nach der Gliedertaxe nicht auf den Wert der Hand, sondern den Wert für den Unterarm abzustellen.
OLG Naumburg, Urt. v. 27.10.2016 – 41 U 17/16
Sachverhalt
Am 2.11.2012 erlitt der Kl. während seiner Arbeit einen Unfall, als er von der Ladefläche eines Lkw-Anhängers etwa 2 m in die Tiefe stürzte. Neben anderen Verletzungen trug er eine distale Radiustrümmerfraktur am linken Arm unter Beteiligung des Handgelenkes sowie eine Bandverletzung (zwischen Kahnbein und Mondbein der Handwurzel) davon. Auf Grund von Komplikationen im Heilungsverlauf wurde zunächst am 15.4.2013 das zuvor eingebrachte Osteosynthesematerial operativ am linken Handgelenk entfernt und im Rahmen einer weiteren Operation eine Denervierung geschädigter Nerven sowie die Versteifung des linken Handgelenks vorgenommen. LG SV D stellte in seinem Gutachten vom als verbleibende Unfallfolgen fest:
1. Ein vollständiger Verlust der Beweglichkeit im linken Handgelenk infolge der erforderlich gewordenen Arthrodese-Operation, 2. belastungsabhängige Schmerzzustände im linken Handgelenk, 3. eine elektrisierende Berührungsempfindlichkeit über der linken Handwurzel, 4. eine Interaktivitätsosteoporose des linken Handgelenks und 5. drei reizlose oberflächliche Narben im Bereich des linken Handgelenks sowie 6. eine eingeschränkte Auswärtsbewegung im linken Unterarm
Diese Beeinträchtigungen schätzte es als Invalidität mit 6/20 Handwert ein.
2 Aus den Gründen:
"… Im Ausgangspunkt zutreffend hat das LG nicht auf die Gliedertaxe in ihrer ursprünglichen Fassung mit der Formulierung "Hand im Handgelenk" abgestellt (1). Allerdings hat es im Folgenden für die betroffene Verletzung unzutreffend den Wert der Hand anstatt den Unterarmwert als maßgeblich erachtet (2). (…)"
1. Anders als der Kl. meint, können auf den gegenständlichen Versicherungsfall nicht mehr die Gliedertaxe mit ihrer ursprünglichen Begrifflichkeit "Hand im Handgelenk" entsprechend den AUB 94/88 und die hieran anknüpfende Gelenkrechtsprechung des BGH Anwendung finden.
Der BGH hat (zfs 2003, 507) die Formulierung Hand im Handgelenk als missverständlich in den Fällen erachtet, in denen, etwa nach einer Versteifung des Handgelenks, die Funktionsfähigkeit eines Gelenks ganz aufgehoben war. Der BGH hat deshalb dem VN das für ihn günstigste Verständnis der Gliedertaxe zugutegehalten und trotz verbliebener Handfunktionen (Fingerbeweglichkeit) den vollen Invaliditätsgrad für die Hand zugesprochen. Um ein solches Ergebnis auszuschließen, sind in den der AUB 94/88 nachfolgenden Bedingungswerken – wie auch in denen der Bekl. – die Zusätze im Schultergelenk, im Handgelenk und im Fußgelenk gestrichen worden. Damit war der sogenannten Gelenkrechtsprechung des BGH nach den neueren Bedingungswerken der Boden entzogen.
a) Für die zumindest in erster Instanz vom Kl. präferierte Anwendung der AUB 94/88 im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung, ist bereits deshalb kein Raum mehr, weil die AUB 2008 – wogegen sich der Kl. mit der Berufung auch gar nicht mehr wendet – anlässlich der Vertragsänderung im März 2008 wirksam einbezogen worden sind. (…)
2. Angesichts der hier betroffenen Unfallverletzung hat das LG jedoch nach der Gliedertaxe fehlerhaft nicht auf den Wert des Unterarms, sondern auf den Wert für die Hand abgestellt.
Im Ausgangspunkt ist indessen nicht zu beanstanden, wenn das LG die Versteifung des Handgelenks als maßgeblichen Invaliditätsschaden ansieht. Denn wenngleich diese Versteifung unmittelbar durch den Unfall, sondern erst vermittelt durch entstandene Komplikationen im Heilungsverlauf und eine anschließende Operation hervorgerufen wurde, geht sie doch letztendlich kausal und zurechenbar auf den ursprünglichen Unfall zurück, weshalb – auch von den Parteien nicht infrage gestellt – der Zustand nach der Versteifungsoperation, wie vom SV Dr. D. in seinem Gutachten beschrieben, bei der Invaliditätsbewertung Berücksichtigung zu finden hat.
Die Frage, ob der Unterarm oder, wie Bekl. und LG meinen, der Wert der Hand der richtige Ausgangspunkt für eine Invaliditätsbemessung bedeutet, spiegelt letztlich den Meinungsstreit in der Unfallversicherung wider, ob für die Gliedertaxe auf den Sitz der (primären) Verletzung oder aber den Ort, an dem sich die Funktionsunfähigkeit bzw. Beeinträchtigung manifestiert, abzustellen ist. Hierzu hat sich der BGH anlässlich einer betroffenen Schulterverletzung in einem Urteil vom 1.4.2015 (zfs 2015, 4501) richtungsweisend positioniert:
Dort hatte das BG die Schulterverletzung in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung nach dem Oberarmwert der Gliedertaxe bemessen und darauf abgestellt, dass das Schultergelenk in erster Linie der Beweglichkeit des Armes diene, wohingegen weitergehende Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des Schultergürtels nur untergeordneter Bedeutung seien. Dem ist der BGH nicht gefolgt. Ausgehend von der maßgeblich...