StPO § 147; ZPO § 180
Leitsatz
Keine Heilung einer fehlerhaften Ersatzzustellung nach § 180 ZPO aufgrund Akteneinsicht des Zustellungsempfängers.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.3.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 76/18
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen vorsätzlichen Nichtbeachtens eines Verkehrsverbots (Zeichen 250) zu einer Geldbuße von 30 EUR verurteilt. Die Zustellung des Urteils ist an die Anschrift "… -Straße 20, … München" erfolgt, der Betr. wohnt im Anwesen "… -Straße 2" in München. In der Zustellungsurkunde sind die Felder "zu übergeben versucht" und "Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den zur Wohnung/zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt" angekreuzt.
Das AG hat den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, die angefochtene Entscheidung sei dem Betr. wirksam zugestellt worden. Innerhalb der durch die Zustellung in Gang gesetzten Monatsfrist sei das Rechtsmittel nicht mittels einer von einem Verteidiger unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet worden.
Gegen diesen Beschluss hat der Betr. die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beantragt. Das OLG Zweibrücken hat den Beschluss des AG Speyer, durch den der Antrag des Betr. auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des AG Speyer als unzulässig verworfen worden ist, aufgehoben.
2 Aus den Gründen:
"…"
II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 346 Abs. 2 StPO) ist zulässig und begründet.
1. Eine wirksame (Ersatz-)Zustellung einer Urteilsausfertigung ist nicht nachgewiesen. Die Postzustellungsurkunde ist zum Nachweis einer wirksamen Ersatzzustellung gem. § 180 ZPO i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 37 StPO nicht geeignet, weil der Betr. nicht unter der dort angegebenen Anschrift wohnt. Die Postzustellungsurkunde enthält keinen Vermerk dahingehend, dass die zuzustellende Urkunde abweichend vom Adressfeld unter der tatsächlichen Wohnadresse des Betr. zugestellt worden ist. Zwar bestehen außerhalb der Zustellungsurkunde gelegene Hinweise darauf, dass die Zustellung unter der tatsächlichen Wohnadresse des Betr. ausgeführt worden sein kann. Denn sowohl der Bußgeldbescheid als auch die Ladung zum Termin vom 16.2.2018 waren ebenfalls an die unrichtige Hausnummer adressiert gewesen und haben den Betr. gleichwohl erreicht. Durch diesen Umstand wird die Möglichkeit, dass die Urteilsausfertigung an einer Adresse hinterlassen wurde, an der der Betr. nicht wohnte, und die Ersatzzustellung daher unwirksam ist (vgl. BayObLG, Beschl. v. 28.11.1967 – RReg 4a St 117/67, NJW 1968, 513), jedoch nicht hinreichend ausgeräumt. Bleiben danach zumindest Zweifel daran, dass eine wirksame Zustellung der Urteilsausfertigung tatsächlich erfolgt ist, kann die Rechtsbeschwerde nicht als unzulässig verworfen werden (zur Revision: BGH, Beschl. v. 23.5.2017 – 2 StR 34/17, juris Rn 8).
2. Der Zustellungsmangel ist auch nicht dadurch geheilt worden, dass der Betr. im Rahmen der ihm am 3.7.2018 gewährten Akteneinsicht Kenntnis von den schriftlichen Urteilsgründen erlangt und im Schreiben vom 24.7.2018 hierzu inhaltlich Stellung genommen hat. Zwar lässt § 189 ZPO i.V.m. §§ 37 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG grundsätzlich eine Heilung von Zustellungsmängeln zu, wenn ein Zustellungswille auf Seiten des Gerichts vorgelegen hat (BGH, Beschl. v. 26.11.2002 – VI ZB 41/02 (KG), NJW 2003, 1192, 1193; KG, Beschl. v. 12.10.2010 – 2 Ws 521/10, NStZ-RR 2011, 86; Wittschier in Musielak/Voit, 15. Aufl. 2018, ZPO § 189 Rn 2) und feststeht, dass der Zustellungsempfänger das zuzustellende Schriftstück tatsächlich erhalten hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 37 Rn 28). Die Heilung einer missglückten Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 ZPO durch tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks setzt allerdings voraus, dass der Adressat der Zustellung das Schriftstück so “in die Hand bekommen' hat (BGH, Urt. v. 15.3.2007 – 5 StR 536/06, juris Rn 14 = BGHSt 51, 257; s.a. zu § 180 ZPO: BFH, Beschl. v. 6.5.2014 – GrS 2/13, NJW 2014, 2524, 2528 = BFHE 244, 536, BStBl II 2014, 645), dass er es behalten und davon Kenntnis nehmen kann (BGH, Urt. v. 21.3.2001 – VIII ZR 244/00, NJW 2001, 1946; Häublein in MüKo-ZPO, 5. Aufl. 2016, ZPO § 189 Rn 8). Allein die Kenntnisnahme vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks reicht für dessen tatsächlichen Zugang nicht, nicht einmal die Übergabe eines gleichlautenden, aber anderen Schriftstücks (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.7.2005 – 6 UF 58/04, BeckRs 2005, 9733 Rn 7; OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.3.2008 – 7 U 152/07, NZG 2008, 714, 715; s.a.: OLG Hamburg, Urt. v. 30.6.2005 – 3 U 221/04, BeckRS 2006, 6553). An dieser, teilweise noch zu der Vorgängervorschrift in § 187 ZPO a.F. ergangenen Rechtsprechung sind aufgrund der Neufassung in § 189 ZPO keine Änderung im Sinne einer Ausweitung der Heilungsvoraussetzungen veranlasst (BFH a.a.O., Rn 68). Eine Kenntniserlangung vom Inhalt der zuzustellenden Urteil...