"… II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Eine Betrachtung der Rechtslage nach der Verkündung der 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl I vom 27.4.2020, S. 814 ff.) führt nicht zu einer günstigeren Gesetzeslage für den Betr. hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 18.9.2019. Das angefochtene Urteil beruht – auch bei Berücksichtigung der nach dem 28.4.2020 bestehenden Rechtslage im Rechtsbeschwerdeverfahren – nicht auf einer Verletzung des materiellen Rechts."
1. Zutreffend verweist die Rechtsbeschwerde im Ausgangspunkt allerdings darauf, dass auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren auf die Sachrüge hin zu überprüfen ist, ob sich die materielle Rechtslage zugunsten des Betr. geändert hat, § 4 Abs. 3 OWiG (sog. lex mitior-Regel; vgl. zu den Grundlagen KK-OWiG/Rogall, 5. Aufl. 2018, OWiG § 4 Rn 20). Ebenfalls zutreffend nimmt die Rechtsbeschwerde dabei an, dass als “milderes Gesetz' auch ein zwischenzeitlich eingetretener Rechtszustand anzusehen ist, in dem eine Strafbarkeit (im Falle des gleichlautenden § 2 Abs. 3 StGB) oder eine Ahndungsfähigkeit als Ordnungswidrigkeit (im Falle des § 4 Abs. 3 OWiG) ganz weggefallen ist (vgl. v.a. aus dem Gebiet des Wirtschaftsstraf- und -bußgeldrechts BGH, NStZ-RR 2019, 49, 50; NJW 2017, 966 Rn 4; NStZ 1992, 535, 536; Reckmann, NZWiSt 2020, 293; Esser in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 2 StGB Rn 4 ff.; Krenberger, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 4 OWiG Rn 4).
2. Nach vorherrschender Auffassung, der der Senat beitritt, ist dem Verordnungsgeber der 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften (a.a.O.; StVRÄndV; verkürzend sog. StVO-Novelle 2020) durch die unterlassene Nennung der gesetzlichen Ermächtigung aus § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot aus § 80 Abs. 1 S. 3 GG unterlaufen, da trotz der unterlassenen Zitierung auch Regeln der Bußgeldkatalogverordnung geändert wurden, die mit der Verhängung von Fahrverboten im Zusammenhang stehen (BeckOK StVR/Friedrich, 8. Ed. 1.7.2020, StVO § 39 Rn 92 a ff.; Koehl, NJ 2000, 394; Krumm, DAR 2020, 476; Fromm, DAR 2020, 527, 528; siehe zusätzlich zum Ablauf des Verordnungsgebungsverfahrens Ipsen, NVwZ 2020, 1326, 1327 ff.). Damit hat der Verordnungsgeber seine Rechtssetzungsbefugnis nur unvollständig nachgewiesen. Bei einer Verordnung, die auf mehreren gleichstufigen Ermächtigungsnormen beruht (sog. horizontale Ermächtigungsmehrheit) ist dies nur dann der Fall, wenn sämtliche Ermächtigungsnormen genannt werden (so BVerfG, Urt. v. 6.7.1999 – 2 BvF 3/90, BVerfGE 101, 1 Ls 1 a; Beschl. v. 1.4.2014 – 2 BvF 1/12, BVerfGE 136, 69 Rn 99 – Gigaliner; Beschl. v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 –, BVerfGE 151, 173 Rn 17–19 – Subdelegierte Verordnung; Maunz/Dürig/Remmert, 91. EL April 2020, GG Art. 80 Rn 127, 130). Das Zitiergebot hat Vergewisserungsfunktion und Begrenzungsfunktion für den Verordnungsgeber und dient der Nachprüfbarkeit der Verordnungsgebung für den Adressaten (vgl. zum Vorstehenden zusätzlich Leibholz/Rinck/Hesselberger in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 80. Lieferung 03.2020, Art. 80 GG Rn 256).
3.a. Die nach der am 27.4.2020 erfolgten Verkündung eingetretene Rechtslage betreffend die im geschilderten Rahmen fehlerhaften 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften hat für den hier zu beurteilenden Fall jedoch – anders als die Rechtsbeschwerde meint – nicht zu einer Situation geführt, in der das verfahrensgegenständliche Verhalten des Betr. nicht oder nicht mehr in gleicher Höhe mit einem Bußgeld zu ahnden wäre. Deshalb kommt eine Einstellung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206b StPO nicht in Betracht. Auch eine Zurückverweisung an das AG zur Neubemessung der Rechtsfolge ist nicht angezeigt. Dies erklärt sich aus den Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Zitiergebot.
b. Zu den Folgen des Verstoßes gegen das Zitiergebot werden verschiedene Ansichten vertreten, wobei weitgehend (vgl. Sandherr, DRiZ 2020, 386; BeckOK StVR/Friedrich, 8. Ed. 1.7.2020, StVO § 39 Rn 92 a ff.) eine Teilnichtigkeit für die die Fahrverbote betreffenden Änderungen der BKatV angenommen wird: In der populären Diskussion wird z.T. angenommen, durch den Zitierfehler sei die Verordnung insgesamt nichtig und es trete ein Zustand ohne Regelung ein, ggf. so weitgehend dass neben der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) z.B. auch die Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht mehr wirksam seien (Sandherr, DRiZ 2020, 386, 387 spricht von sich “überschlagenden Expertenmeinungen'). Auf diesen Standpunkt stellt sich die Rechtsbeschwerde. Hierfür lässt sich indes nur auf den ersten Blick die Entscheidung des BVerfG zur Hennenhaltungsverordnung, BVerfG, Urt. v. 6.7.1999 – 2 BvF 3/90, BVerfGE 101, 1, anführen, aus der sich ergibt, dass ein Verstoß gegen das Zitiergebot des § 80 Abs. 1 S. 3 GG die Nichtigkeit einer Verordnung zur Folge hat. Dies führte im dortigen Fall dazu, dass keine Verordnungs...