VVG § 180; AUB § 1 Abs. 3
Leitsatz
1. Zu einem Invaliditätszuschlag nach Wirbelkörperfraktur und Versteifungsoperation (Invalidität hier an sich 10 %) wegen verminderter Kompensationsfähigkeit (von hier weiteren 5 Prozentpunkten).
2. Ein (mitwirkendes) Gebrechen liegt – nach dem maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen VN – nur vor, wenn der gesundheitliche Zustand der versicherten Person von dem altersentsprechenden Zustand abweicht. Altersentsprechende Verschleißerscheinungen zählen dazu auch dann nicht, wenn sie erheblich sind. Die Beweislast für das Vorliegen eines Gebrechens liegt beim VR; dies gilt auch für das Überschreiten des altersentsprechenden Zustands. Lassen sich dazu – wie im Streitfall – nach sachverständiger Beratung keine Feststellungen treffen, hat der VR uneingeschränkt zu leisten.
3. Offen bleibt die Frage, wann eine – einerseits – "klinisch stumme" Veränderung andererseits – "eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt".
OLG Hamm, Urt. v. 24.1.2020 – 20 U 143/18
Sachverhalt
Der 1948 geborene Kl. stürzte 2015 beim Bowling und zog sich eine Wirbelkörperfraktur zu. Er behauptet zu 45 % in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt zu sein. Das LG hat Sachverständigenbeweis erhoben und eine unfallbedingte Invalidität von 10 % festgestellt sowie die Bekl. zu einer Rentenzahlung von 1.006,95 EUR pro Quartal verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Nach Ansicht des Kl. ist der Invaliditätsgrad mit 45 % anzusetzen.
2 Aus den Gründen:
"… II. 1. Dem Kl. steht aus § 1 S. 1 VVG i.V.m. dem Versicherungsvertrag sowie den AUB 88 ab Januar 2016 der ausgeurteilte Rentenanspruch, bemessen nach einem Invaliditätsgrad von 15 % außerhalb der Gliedertaxe, zu."
a) Der Kl. hat aufgrund des unstreitigen Unfalls i.S.v. § 1 Abs. 3 AUB 88 eine Wirbelkörperfraktur als erste Gesundheitsschädigung erlitten, die zu einem Invaliditätsgrad von 15 % außerhalb der Gliedertaxe geführt hat.
aa) Alleinige unfallbedingte erste Gesundheitsschädigung ist vorliegend die Wirbelkörperfraktur.
(1) Entgegen dem Privatgutachten der Bekl. T steht – wie im Senatstermin erörtert mittlerweile unbestritten – fest, dass die Wirbelkörperfraktur kausal auf den Unfall zurückzuführen ist. Dies entspricht dem Ergebnis sämtlicher Gerichtsgutachten.
Auch der Ausschluss nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88 für Schädigungen an Bandscheiben kommt nicht zur Anwendung. Dieser erfasst nach der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen VN dem Wortlaut entsprechend nicht auch Wirbelkörperbrüche. Nach den übereinstimmenden Angaben der SV im Senatstermin steht hier keine Bandscheibenschädigung in Rede.
(2) Ohne Erfolg behauptet der Kl., dass auch die von sämtlichen Gerichtssachverständigen festgestellte und dem Senat im Termin anhand eines Röntgenbildes vor Augen geführte Verknöcherung des vorderen Längsbandes oberhalb des Wirbelkörperbruchs eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung darstelle.
Der SV S hat sicher ausgeschlossen, dass die Verknöcherung des vorderen Längsbandes auf den Unfall zurückzuführen ist, da sie bereits auf den ersten Röntgenbildern nach dem Unfall zu sehen ist und nicht derart schnell nach dem Unfall entstanden sein kann. Ausschließlich die Wirbelkörperfraktur ist durch den Unfall hervorgerufen worden. Auch der SV G hat wiederholt herausgestellt, dass die Verknöcherung unfallunabhängig bestand. (…)
bb) Der Kl. hat ein Ausmaß der unfallbedingt eingetretenen Invalidität von 15 % außerhalb der Gliedertaxe (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 lit. c AUB 88) bewiesen.
Maßgeblicher Bemessungszeitpunkt ist der 0.10.2018 (3 Jahre nach dem Unfall). Der Kl. hat bereits erstinstanzlich vor Ablauf der dreijährigen Neubemessungsfrist auch Bemessung auf diesen Zeitpunkt begehrt (vgl. BGH VersR 2016, 185 …). Zudem haben beide Parteien es im Senatstermin so erklärt. Ohnedies ist der Invaliditätsgrad im vorliegend Einzelfall nach übereinstimmenden Ausführungen der SV S und G zum Erstbemessungszeitpunkt nicht anders.
Die Beweislast ist auf Seiten des VN (vgl. BGH r+s 2017, 651 Rn 19 mit krit Anm. Jacobs, jurisPR-VersR 12/2017). Maßgeblich für die Bemessung des Invaliditätsgrads sind dabei nicht besondere, vor dem Unfall durch den Kl. ausgeübte Tätigkeiten (z.B. Skifahren oder Golfspielen), sondern nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 lit. c AUB 88 die “normale' körperliche Leistungsfähigkeit, also die eines durchschnittlichen VN (vgl. Senat, r+s 2007, 468.).
(1) Für die operative Versteifung der aneinander angrenzenden Wirbelkörper ist nach Auffassung aller SV ein Invaliditätsgrad von 10 % anzusetzen. (…) Streitig ist allein, ob und welche Zuschläge noch zu machen sind.
(2) Entgegen dem Begehren des Kl. ist kein solcher Zuschlag für die präoperativ bestehenden oder postoperativ verbliebenen Vorderkanten- und/oder Hinterkantenminderungen und/oder die Berstungsfraktur anzusetzen.
a) Bereits im Ansatz verfehlt wäre es im Streitfall auf den präoperativen Zustand vor Versteifung abzustellen. Denn hat eine Heilbehandlung – wie hier die Versteifung nach übereinstimmenden Angaben der SV S un...