BVerfGG § 31, GG Art. 19 Abs. 4, StVZO § 31a, SaarlVGHG § 10 Abs. 1; VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
Leitsatz
1. Zu den Anforderungen an ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Fall einer bereits durch Zeitablauf und Befolgung erledigten Fahrtenbuchauflage.
2. Im Anwendungsbereich des § 31a StVZO gilt ebenso wie in Bußgeldverfahren, dass die Gerichte und die Verwaltungsbehörden ihren Entscheidungen die mittels standardisierter Messverfahren gewonnenen Messergebnisse zugrunde legen dürfen, solange und soweit keine substantiierten Einwände gegen deren Validität bzw. Korrektheit erhoben werden. Dies bedingt vor dem Hintergrund des Rechts auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren, dass einem von einer Fahrtenbuchauflage Betroffenen auf entsprechenden Wunsch grundsätzlich die Möglichkeit zuzugestehen ist, sich selbst Gewissheit darüber zu verschaffen, ob sich aus nicht zur Verwaltungsakte gelangten Informationen zum Zustandekommen des Messergebnisses Tatsachen ergeben, die geeignet sein könnten, die Richtigkeit des Messergebnisses in Frage zu stellen.
3. Wird der Anspruch auf Einsicht in Informationen zum Zustandekommen eines Geschwindigkeitsmessergebnisses, die – den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens geschuldet – nicht zur Verwaltungsakte gelangt sind, erstmals zu einem Zeitpunkt geltend gemacht, zu dem der für die gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle maßgebliche Zeitpunkt bereits verstrichen ist und neue Erkenntnisse die Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage daher nicht mehr in Zweifel ziehen könnten, so erfolgt dies nicht rechtzeitig im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 1616/18).
OVG des Saarlandes, Urt. v. 6.10.2021 – 1 A 8/21
1 Hinweis:
Zum grunds. Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in die Messunterlagen vgl. die stattgebenden Beschlüsse des BVerfG vom 28.4.2021 – 2 BvR 1451/18 (NZV 2021, 377 mit Praxishinweis Sandherr) und vom 4.5.2021 – 2 BvR 868/20 (zfs 2021, 348 = DAR 2021, 385 mit Anm. Gratz S. 386). S.a. BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, DAR 2021, 75. Zum Anspruch auf die gesamte Messreihe: OLG Zweibrücken, zfs 2021, 349, zur Einsicht in die Lebensakte: OLG Zweibrücken, zfs 2021, 353; zur Beschwerde gg. gerichtliche Versagung von Akteneinsicht in fallspezifische Rohmessdaten: LG Hagen, zfs 2021, 293. Zum Feststehen des Verkehrsverstoßes u. insbes. zur Zugänglichmachung der Messdaten u. zum "Fair-trial-Grundsatz" siehe ferner ausführlich Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2022 § 31a StVZO Rn 30 ff.; § 79 OWiG Rn 67 ff. S.a. Merz, Der Grundsatz des fairen Verfahrens und der daraus resultierende Informationsanspruch des Betroffenen im Bußgeldverfahren, NZV 2021, 281. Zu den aktuellen Entwicklungen zum Anspruch auf Einsicht in Messunterlagen: Ropertz, NZV 2021, 500. Vgl. auch Stückmann, Rohmessdaten und Befundprüfung vor dem Hintergrund der Fehlmessungen zugelassener und geeichter Messgräte, SVR 2021, 241, Niehaus, Einsichtsrecht in nicht bei der Bußgeldakte befindliche Messunterlagen, DAR 2021, 277, Fromm, Praxisfragen zum Umfang der Akteneinsicht in Bußgeldverfahren, zfs 2021, 250 – zugleich Anm. zu BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18; Staub/Lerch/Krumm, Informationsparität bei "Rohmessdaten und Co" – eine Handreichung für die Praxis, DAR 2021, 125.
zfs 1/2022, S. 60