OWiG § 67 Abs. 2 § 84 Abs. 1
Leitsatz
1. Nimmt der Betroffene in der irrigen Annahme, zwei ihm zur Last gelegte Tathandlungen stünden in Tateinheit und nicht wie im Bußgeldbescheid rechtlich zutreffend ausgewiesen in Tatmehrheit, den Einspruch teilweise zurück, ist diese Erklärung wirksam. Der Irrtum des Betroffenen ist ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH NStZ 1984, 181 m.w.N.).
2. Die Teilrücknahme führt nicht zum Strafklageverbrauch nach § 84 Abs. 1 OWiG, weil sich die hierdurch eingetretene vertikale Rechtskraft nicht auf den weiteren dem Betroffenen mit gleichem Bußgeldbescheid zur Last gelegten selbstständigen Vorwurf erstreckt.
KG, Beschl. v. 14.6.2021 – 3 Ws (B) 109/21
Sachverhalt
Gegen den Betroffenen erging ein Bußgeldbescheid wegen eines Rotlichtverstoßes mit Gefährdung des Querverkehrs Fußgänger/Radfahrer über 200 EUR mit Fahrverbot von einem Monat mit Schonfrist. Tatmehrheitlich wurde wegen eines Gelblichtverstoßes eine Geldbuße von 10 EUR verhängt. Der Betroffene war nach dem zweiten Verstoß an der ampelgeregelten Einmündung von Polizeibeamten angehalten, belehrt und angehört worden. Der Betroffene hat den rechtzeitig eingelegten Einspruch hinsichtlich des Vorwurfes des Gelblichtverstoßes zurückgenommen und den Betrag von 10 EUR überwiesen. Das Amtsgericht hat den Betroffenen, der sich in der Hauptverhandlung zwar zur Person, aber nicht zur Sache geäußert hat, wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 250 EUR und einem Fahrverbot von einem Monat mit Schonfrist verurteilt.
In seiner Rechtsbeschwerde lässt der Betroffene u.a. vortragen, dass ein Verfahrenshindernis aufgrund des unwirksamen Bußgeldbescheides bestehe, weil der Bescheid nicht die Umgrenzungsfunktion erfülle. Er weise zwei sich ausschließende Verstöße an einem Tatort zu einer Tatzeit aus. Der Betroffene habe erstmalig von dem weiteren Tatort in der Hauptverhandlung gehört. Der unwirksame Bußgeldbescheid habe auch nicht die Verfolgungsverjährung unterbrechen können, so dass die Tat verjährt sei. Des Weiteren sei nach § 84 Abs. 1 OWiG Strafklageverbrauch eingetreten. Es handele sich um eine Tat sowohl im materiellen als auch im prozessualen Sinne. Daher sei der Bußgeldbescheid durch die Teilrücknahme des Einspruchs insgesamt in Rechtskraft erwachsen.
Das KG hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…] II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die von Amts wegen im Freibeweisverfahren veranlasste Prüfung ergibt, dass kein Verfahrenshindernis besteht.
1. Die Teilrücknahme des Bußgeldbescheides hinsichtlich des Vorwurfes des Gelblichtverstoßes ist wirksam und das Gericht war nicht gehindert, den Betroffenen wegen des weiteren Vorwurfes auf der Grundlage des Bußgeldbescheides zu verurteilen. Denn die beiden ihm zur Last gelegten bußgeldbewehrten Handlungen stehen – so das Amtsgericht zutreffend – in Verhältnis der Tatmehrheit (§ 20 OWiG) und nicht der Tateinheit (§ 19 OWiG). Grundsätzlich gilt, dass mehrere – auch gleichartige – Verkehrsverstöße, die auf einer ununterbrochenen Fahrt begangen werden, nicht nur im materiellen, sondern auch im prozessualen Sinn als mehrere Taten zu bewerten sind (vgl. Senat, Beschl. v. 27.4.2020 – 3 Ws (B) 49/20; OLG Celle, Beschl. v. 10.6.2010 – 322 SsBs 161/10; OLG Hamm, Beschl. v. 12.92011 – III – 3 RBs 248/11). Der Umstand, dass mehrere Verstöße auf der gleichen Fahrt begangen wurden, ändert nichts daran, dass das Fahren als solches keine rechtliche Klammer im Sinne einer rechtlichen Tateinheit zu den einzelnen Fehlverhaltensweisen im Verkehr bildet (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 12.9.2011 – 3 RBs 248/11 –, BeckRS 2011, 24798; OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.5.2005 – 1 Ss (OWi) 87 B/05; OLG Jena NZV 1999, 304; OLG Düsseldorf NZV 1998, 78; BayObLG, Beschl. v. 1.8.1994 – 2 ObOWi 343/94; Gieg/Krenberger in Burhoff Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 6. Aufl., Rn 3595). Dies gilt jedenfalls für fahrlässig begangene Verkehrsverstöße. Eine Ausnahme – eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit – kommt nur dann in Betracht, wenn ordnungswidrigkeitenrechtlich erhebliche Verhaltensweisen durch einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichnet sind, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt (vgl. Senat, Beschl. v. 18.8.2016 – 3 Ws (B) 381/16; OLG Jena, Beschl. v. 14.1.2005 – 1 Ss 251/04; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 19 Rn 2) und auf einer einheitlichen Willensbetätigung i.S.v. derselben Willensrichtung beruht.
Gemessen an diesem Maßstab hat der Betroffene den Rotlichtverstoß und den anschließenden Gelblichtverstoß zwar auf einer ununterbrochenen Fahrt begangen und zwischen beiden Ampeln besteht auch ein enger örtlicher Zusammenhang – sie liegen gut 150 Meter auseinander –, aber beide Lichtzeichenanlagen regeln unterschiedliche Straßenbereiche mit unterschiedlichen Verkehrsbeziehungen. Demnach stellt das...