VVG § 19 Abs. 4
Leitsatz
1. Stimmt ein VN nach einer Rücktrittserklärung des VR einem rückwirkenden Risikoausschluss zu, so kommt es nicht darauf an, ob die Rücktrittserklärung wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit gerechtfertigt war.
2. Die einseitige nachträgliche rückwirkende Einfügung eines Risikoausschlusses für Beeinträchtigungen an der Wirbelsäule ist auch bei fahrlässiger Verletzung der Anzeigeobliegenheit zulässig.
3. Dem Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen muss nicht entsprochen werden, wenn die angekündigten Fragen nicht beweiserheblich sind.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Hamm Beschl. v. 5.5.2021 – 20 U 22/21
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
In dem Antragsformular ist eine Operation an der Nasenscheidewand angegeben. Im Übrigen wurden sämtliche Gesundheitsfragen verneint. 2016 wurde der Kl. als Fußgänger angefahren und erlitt Verletzungen an der Wirbelsäule. Im August 2018 beantragte er Leistungen.
Im Zuge der Leistungsprüfung stellte die Bekl. fest, dass der Kl. vor Antragstellung zweimalig wegen Rückenbeschwerden in ärztlicher Behandlung gewesen war. Sie erklärte deshalb den Rücktritt vom Vertrag. In dem Schreiben wird ferner ausgeführt, dass hilfsweise eine Anpassung des Vertrages erfolgen könne, wenn der Kl. nachweise, dass die Verletzung der Anzeigeobliegenheit nur fahrlässig erfolgte.
Der Kl. wies den Vorwurf einer vorsätzlichen Verletzung der Anzeigeobliegenheit zurück; er habe diese "höchstens fahrlässig" verletzt. Mit dem Leistungsausschluss sei er einverstanden.
Die Bekl. übersandte dem Kl. daraufhin eine aktuelle Fassung des Versicherungsscheins verbunden mit dem Hinweis, dass sie den Vertrag "mit einem Leistungsausschluss aufgrund Erkrankungen der Wirbelsäule reaktiviert" habe. In dem Versicherungsschein heißt es:
"Besondere Vereinbarungen zu Erkrankungen an der Wirbelsäule"
Es gilt als vereinbart, dass Minderbelastbarkeiten sowie alle Bewegungsstörungen und Schmerzsyndrome der Wirbelsäule einschließlich der beteiligten Wirbelsäulenmuskulatur, wirbelsäulenbedingte neurologische Symptome (z.B. Lähmungen, Gefühlsstörungen) einen Leistungsanspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht bedingen und bei der Feststellung des Grades der Berufsunfähigkeit aus anderen Gründen unberücksichtigt bleiben.
Sofern sie aber Folgen erstmals nach Vertragsabschluss aufgetretener Tumorerkrankungen der Wirbelsäule, Frakturschäden der Wirbelsäule, Querschnittslähmung sowie Infektionserkrankungen der Wirbelsäule sind, sind sie in den Versicherungsschutz eingeschlossen und bei der Festsetzung des Grades der Berufsunfähigkeit mit zu berücksichtigen.
Der Nachweis, dass die vorgenannten Erkrankungen erstmalig nach Vertragsabschluss aufgetreten sind, ist vom Versicherten durch Vorlage objektivierbarer Befunde und ärztlich gesicherter Diagnosen sowie Aussagen zu Ausmaß und Grad der damit verbundenen Leistungseinschränkungen zu erbringen.
Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen bedingen in keinem Fall eine Leistungspflicht.
Besondere Vereinbarungen
Der Leistungsausschluss gilt ab Vertragsbeginn.“
Mit seiner Klage begehrt der Kl. die Zahlung rückständiger Berufsunfähigkeitsrente.
2 Aus den Gründen:
"…"
1. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das LG hat die auf Feststellung des Fortbestandes eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages und auf die Erbringung von Leistungen nach einem behaupteten Versicherungsfall gerichtete Klage zu Recht abgewiesen …
a) Der Kl. hat gegen die Bekl. keinen Anspruch auf Erbringung von Rentenzahlungen nebst Zinsen, auf Rückzahlung geleisteter Prämien und auf Feststellung der Befreiung von der Prämienzahlungspflicht aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag. Es besteht ein wirksamer Leistungsausschluss für Erkrankungen der Wirbelsäule (unten aa), und die vom Kl. geltend gemachte Berufsunfähigkeit aufgrund von Schmerzen der Wirbelsäule ist von diesem Leistungsausschluss erfasst (unten bb).
aa) Der zwischen den Parteien bestehende Versicherungsvertrag beinhaltet einen rückwirkend ab Vertragsschluss geltenden Leistungsausschluss für Erkrankungen der Wirbelsäule.
(1) Dies ergibt sich schon aus der vertraglichen Einigung der Parteien über die Geltung eines solchen Leistungsausschlusses.
(a) Davon, dass die Bekl. in treuwidriger Weise auf die Entscheidung des Kl., den Leistungsausschluss zu akzeptieren, Einfluss genommen hätte, kann keine Rede sein.
(b) Entgegen der Auffassung des Kl. in der Berufungsbegründung ergibt eine Auslegung der beiderseitigen Erklärungen nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB eindeutig, dass dieser Leistungsausschluss rückwirkend ab Vertragsschluss gelten sollte. Empfangsbedürftige Willenserklärungen, bei deren Verständnis regelmäßig auch der Verkehrsschutz und der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers maßgeblich ist, sind so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (st. Rspr, vgl. statt vieler BGH, VersR 2013, 779).
Für ein...