OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 5
Leitsatz
Es besteht für eine vorläufige Einstellung des Verfahrens von vornherein keinerlei Veranlassung, wenn die vollständige und zutreffende Anschrift des Betroffenen aktenkundig und sein tatsächlicher Lebensmittelpunkt nicht zweifelhaft waren. (Leitsatz der Redaktion)
OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.10.2022 – 2 OLG 53 Ss-OWi 414/22
1 Sachverhalt
Das AG verhängte gegen den Betroffenen mit Urteil wegen vorsätzlicher Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit außerorts eine Geldbuße in Höhe von 580 EUR und ein Fahrverbot von einem Monat. Das OLG Brandenburg hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und sodann das Verfahren auf Kosten der Staatskasse, der auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zur Last fallen, eingestellt.
2 Aus den Gründen:
[…] II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Einstellung des Verfahrens (§ 260 Abs. 3 StPO, § 79 Abs. Abs. 3 S. 1 OWiG) wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 S. 1 OWiG). Die dreimonatige Verjährungsfrist aus § 26 Abs. 3 StVG, die mit Vollendung der dem Betroffenen vorgeworfenen Tat vom 28.8.2021 zu laufen begann, wurde zunächst durch die Anordnung der Anhörung des Betroffenen vom 28.9.2021 unterbrochen (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 OWiG). Zu einer weiteren wirksamen Unterbrechung der Verjährung ist es sodann jedoch bis zum Erlass des Bußgeldbescheides am 30.12.2021 nicht gekommen, sodass Verjährung eingetreten ist.
Die in der Vorgangsübersicht dokumentierte Anordnung der vorläufigen Einstellung des Verfahrens (3.11.2021 13:37:42), die sogleich wieder aufgehoben worden ist (3.11.2021 13:38:12), hat die Verjährung nicht wirksam gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG unterbrochen. Dabei kann offenbleiben, ob im Hinblick auf die gebotene Verfahrensfairness eine vorläufige Verfahrenseinstellung die Verjährung auch dann unterbricht, wenn ein verschuldeter behördlicher Irrtum zugrunde lag (verneinend OLG Brandenburg, Beschl. v. 29.3.2005 – 2 Ss 51 Z/05, NZV 2006, 100; a.A. OLG Bamberg, Beschl. v. 18.4.2007 – 2 Ss OWi 1073/06, NStZ 2008, 532; Göhler/Gürtler/Thoma, OWiG 18. Aufl. § 33 Rn 27; König NZV 2008,105, 106). Auch liegt der Anordnung der vorläufigen Einstellung des Bußgeldverfahrens entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung kein "objektiv und subjektiv willkürliches" Vorgehen zugrunde, das eine Unterbrechungswirkung ausschließen würde (vgl. hierzu Göhler/Gürtler/Thoma, a.a.O..), denn die – insoweit auch dokumentierte ("unzustellbar", Bl. 12 d.A) – Grundlage für die Einstellung war ersichtlich der Rückbrief des (zusätzlich auch) an eine Geschäftsadresse des Betroffenen versandten Anhörungsschreibens. Ferner genügte zur Dokumentation der vorläufigen Verfahrenseinstellung entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung der aktenkundige Ausdruck der "Vorgangshistorie" (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.7.1998 – 2 Ss [OWi] 74 Z/98; OLG Hamm, Beschl. v. 13.11.2006 – 4 Ss OWi 647/06; BGH, Beschl. v. 22.5.2006 – 5 StR 578/05).
Allerdings bestand hier für eine vorläufige Einstellung des Verfahrens von vornherein keinerlei Veranlassung, weil die vollständige und zutreffende Anschrift des Betroffenen aktenkundig und sein tatsächlicher Lebensmittelpunkt nicht zweifelhaft waren. Die insoweit ersichtlich fehlgehende Übersendung eines Anhörungsschreibens an eine weitere Adresse und die im Anschluss daran getroffene Anordnung einer Verfahrenseinstellung erstrebte subjektiv die Merkmale der Unterbrechungshandlung – einer wirklichen Ermittlung des Aufenthaltes im Sinne von § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG – nicht; bei dieser Sachlage ist für die Annahme einer verjährungsunterbrechenden Wirkung der Einstellung bzw. Anordnung der Aufenthaltsermittlung kein Raum (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6.3.2000 – 2 Ss 163/98).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO
3 Anmerkung:
Die nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG notwendige Abwesenheit des Betroffenen, welcher ein Irrtum der Behörde über den richtigen Aufenthaltsort gleichgestellt wird, ist dann nicht gegeben, wenn – wie hier – die Wohnadresse bekannt war (vgl. AG Lüdinghausen zfs 2013, 592; OLG Karlsruhe DAR 2000, 371; OLG Schleswig NZV 2020, 324). Ist dies der Fall, kann eine Maßnahme nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG die Verjährung nicht unterbrechen.
Die Verfahrenseinstellung durch das OLG war hier also zutreffend und auch verfahrensrechtlich unbedenklich. Denn es handelte sich hier um eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde, sodass Verfahrenshindernisse auf die Sachrüge hin geprüft werden durften. Wenn in der Tatsacheninstanz die Verjährungsvorschriften falsch angewendet wurden oder der Eintritt der Verjährung übersehen wurde, begründet dies jedoch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde (OLG Hamm, Beschl. v. 9.4.2019 – 4 RBs 107/19, BeckRS 2019, 8766). Dies beträfe natürlich auch andere Verfahrenshindernisse wie etwa die übersehene Einspruchsrücknahme (OLG Hamm zfs 2022, 590). Zwar könnte zur Fortbildung des Rechts spez...