StGB § 69a Abs. 1, Abs. 4 S. 2; StPO § 410 Abs. 2
Leitsatz
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Beschränkung des gegen den Strafbefehl gerichteten Einspruchs auf die Höhe des Tagessatzes und die Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB) wirksam ist.
2. Eine Sperrfrist unterhalb der in § 69a Abs. 4 S. 2 StGB bestimmten Mindestdauer ist unzulässig.
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, wenn er auf die nach § 69a Abs. 4 Satz 2 StGB gesetzlich kürzestmögliche Sperrfrist erkennt.
KG, Urt. v. 17.8.2022 – (3) 161 Ss 129/22 (44/22)
1 Sachverhalt
Das Amtsgericht Tiergarten hat einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr gegen den Angeklagten erlassen mit einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 20 EUR. Zugleich hat es dem Angeklagten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen, den Führerschein eingezogen und angeordnet, dass dem Angeklagten vor Ablauf von zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Gegen den Strafbefehl hat der Angeklagte – beschränkt auf die "Rechtsfolge der Sperrfrist von 10 Monaten" und die Höhe des Tagessatzes – Einspruch eingelegt. Das AG, das dabei von einer Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist, hat den Angeklagten "auf der Grundlage des im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehls des AG vom 12.1.2022" zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt, dem Angeklagten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen, den ihm erteilten Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Mit ihrer (Sprung-)Revision, beschränkt auf den Ausspruch über die Maßregel der Besserung und Sicherung, rügt die Amtsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts, ausschließlich die angeordnete Dauer der Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, unter Verweis auf die Vorschrift des § 69a Abs. 4 S. 2 StGB.
Das KG hat auf die Revision der Amtsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts im Maßregelausspruch dahingehend geändert, dass dem Angeklagten vor Ablauf von drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die Revision der Amtsanwaltschaft Berlin hat Erfolg, weil das Amtsgericht Tiergarten eine Sperrfrist unterhalb der gesetzlichen Mindestdauer von drei Monaten angeordnet hat.
1. Die Sprungrevision der Amtsanwaltschaft Berlin ist zulässig.
a) Die nach der fristgemäßen Rechtsmitteleinlegung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) gegenüber dem Amtsgericht Tiergarten erklärte Einlegung der (Sprung-)Revision (§ 335 StPO) ist statthaft (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 335 Rn 2).
b) Die Beschränkung des Einspruchs des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten ist wirksam und führt zur Teilrechtskraft des Strafbefehls. Der Senat hat unter Berücksichtigung des Revisionsziels der Amtsanwaltschaft das angegriffene Urteil nur noch hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist zu überprüfen.
(1) Im Rechtszug hat das Revisionsgericht von Amts wegen im Freibeweis zu prüfen, ob vorangegangene Beschränkungen wirksam sind (BeckOK StPO/Wiedner, § 352 Rn 5) und zwar unabhängig von einer sachlichen Beschwer des Revisionsführers und – soweit es sich hier um die Beschränkung des Einspruchs handelt – ohne eine Bindung an die rechtliche Beurteilung des Tatgerichts, da es sich um eine Frage der Teilrechtskraft des angefochtenen Urteils handelt (OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.9.2020 – Ss 40/20 (40/20); Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 318 Rn 33 und § 352 Rn 4). Dabei hat es die dem Rechtsmittelberechtigten eingeräumte Verfügungsmacht, die in dem in der Rechtsmittelerklärung zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen über den Umfang der Anfechtung ihren Ausdruck findet, im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (KG, Beschl. v. 17.12.2013 – (3) 161 Ss 193/13 (132/13)).
Dies ist erforderlich, um den Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung zu bestimmen. Denn sollte die Beschränkung nicht wirksam sein, wäre das Urteil auf die Sachrüge schon insoweit aufzuheben, die Sache zurückzuverweisen und in dem Umfang neu zu verhandeln, der zu Unrecht als rechtkräftig angesehen wurde. Ist hingegen aufgrund wirksamer Beschränkung Teilrechtskraft eingetreten, ist dies vom Revisionsgericht als Verfahrenshindernis zu beachten (vgl. Wiedner a.a.O., § 352 Rn 5.1). Die von der Teilrechtskraft erfassten Feststellungen binden die Gerichte (vgl. KG, Urt. v. 26.2.2020 – (3) 161 Ss 10/20 (8/20); OLG Hamm, Beschl. v. 22.8.2017 – III-5 RVs 41/17).
(a) Die Beschränkung eines Rechtsmittels – und dies gilt auch für den Einspruch gegen den Strafbefehl (vgl. § 410 Abs. 2 StPO) – auf den Rechtsfolgenausspruch ist möglich, wenn solche Beschwerdepunkte betroffen sind, die losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung einer rechtlich und tatsächlich selbstständigen Beurteilung zugänglich sind, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsi...