OWiG § 67
Leitsatz
Es bedarf bei bloßer Unterbrechung einer Hauptverhandlung, an welcher die Staatsanwaltschaft nicht teilgenommen hatte, auch bei einer Einspruchsrücknahme außerhalb der Hauptverhandlung zwischen den beiden Terminen keiner Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft. (Leitsatz der Redaktion)
AG Bruchsal, Beschl. v. 18.11.2022 – 10 OWi 470 Js 29710/22
1 Sachverhalt
In der Bußgeldsache fand zunächst auf Einspruch des Betroffenen am 13.10.2022 ein Hauptverhandlungstermin statt. Nachdem die Staatsanwaltschaft Karlsruhe im Rahmen der Weiterleitungsverfügung vom 28.7.2022, anlässlich der Einspruchsabgabe gemäß § 69 OWiG durch die Bußgeldbehörde, mitgeteilt hatte, dass sie nicht an einer Hauptverhandlung teilnehmen werde und auf Terminsnachricht verzichtete, wurde sie zu diesem Hauptverhandlungstermin weder geladen oder davon benachrichtigt. In der Hauptverhandlung wurde zunächst zur Sache verhandelt, auf Beweisantrag der Verteidigung ein Fortsetzungstermin zur Vernehmung des Messbeamten auf den 3.11.2022 bestimmt. Auch zu diesem Termin erhielt die Staatsanwaltschaft folglich keine Ladung bzw. Terminsmitteilung. Der Verteidiger nahm dann mittels Schriftsatz am 3.11.2022 außerhalb der Hauptverhandlung den Einspruch zurück. Das AG Bruchsal hat festgestellt, dass die Rechtskraft des Bußgeldbescheides des mit Eingang der Erklärung der Rücknahme des Einspruchs am 3.11.2022 eingetreten ist.
2 Aus den Gründen:
[…] Nach Auffassung des Gerichts bedarf es bei bloßer Unterbrechung einer Hauptverhandlung, an welcher die Staatsanwaltschaft nicht teilgenommen hatte, auch bei einer Einspruchsrücknahme außerhalb der Hauptverhandlung zwischen den beiden Terminen keiner Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft. Lediglich für den Fall der Aussetzung wird die Meinung in der Literatur vertreten, dass insbesondere bei der Frage einer Zustimmung zu einer Einstellung gem. § 47 OWiG die Staatsanwaltschaft nochmals zu beteiligen sei. Im Übrigen ist die Staatsanwaltschaft gem. § 75 Abs. 2 OWiG bei Nichtteilnahme weder bei einer Einspruchsrücknahme im ersten Hauptverhandlungstermin noch in einem Fortsetzungstermin bzw. bei einer außerhalb dieses Termins erfolgenden Rücknahme zu beteiligen und um Zustimmung zu ersuchen. Nachdem sie im Vorfeld des ersten Termins gänzlich auf Teilnahme verzichtet hat, ist ihre Beteiligung in einer solchen Fallgestaltung nur durch die Tatsache eines notwendig gewordenen Fortsetzungstermins nicht anders zu beurteilen bzw. sicherzustellen.
Somit ist die Rechtskraft des Bußgeldbescheids und damit die Anordnung des Fahrverbots ohne Viermonatsfrist mit Rücknahme des Einspruchs am 3.11.2022 eingetreten.
Mitgeteilt von RA Wilfried Merkle, Bruchsal
3 Anmerkung:
Der BGH befasste sich zufälligerweise (BGH, Beschl. v. 24.12.2021 [sic!] – KRB 11/21, BeckRS 2021, 45306 [Vorsicht: die Passage zur Rücknahme ist nicht in NZKart 2022, 150 abgedruckt]) passend mit der Problematik: "Die Wirksamkeit der Rücknahme des Einspruchs richtet sich im Bußgeldverfahren gemäß § 71 Abs. 1 OWiG nach den § 411 Abs. 3 S. 2, § 303 S. 1 StPO. Wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel aufgrund mündlicher Verhandlung stattzufinden hat, erlaubt § 303 S. 1 StPO dessen Zurücknahme nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Gegners. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 411 Abs. 1, § 243 Abs. 1 S. 1 StPO). Die Beschränkung des Rücknahmerechts nach § 303 S. 1 StPO wird dadurch endgültig für die Dauer des gesamten Verfahrens ausgelöst. Hieran ändert auch der Neubeginn der Hauptverhandlung nach Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht nichts; es gilt vielmehr der Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 16.6.1970 – 5 StR 602/69, BGHSt 23, 277, 278 [juris Rn 9]). Der für den Strafprozess maßgebende Gedanke, dass § 303 S. 1 StPO zwar nicht den "Schutz des Gegners" bezweckt, aber der materiellen Gerechtigkeit dient, indem er die einseitige Verfügung über das Rechtsmittel dem Beschwerdeführer entzieht, sobald die Hauptverhandlung einmal begonnen hat, gilt im Bußgeldverfahren gleichermaßen (§ 71 Abs. 1 OWiG)".
So könnte man also auf den berechtigten Gedanken kommen, der Verteidiger hätte hier nicht mehr ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft den Einspruch zurücknehmen können. Doch der vom BGH entschiedene Fall hatte die Besonderheit, dass die Staatsanwaltschaft nicht nach § 75 Abs. 2 OWiG mitgeteilt hatte, nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, sondern im Gegenteil hatte die Staatsanwaltschaft dort die Verhandlung gerade begehrt. Hier war allerdings das Gegenteil der Fall: die Staatsanwaltschaft wollte der Hauptverhandlung fernbleiben, sodass der Verteidiger jedenfalls in der Hauptverhandlung den Einspruch hätte zurücknehmen dürfen (oder ihn beschränken, vgl. OLG Hamm zfs 2015, 170), ohne dass die Staatsanwaltschaft hierüber zu befinden gehabt hätte. Dass jedoch für den Zeitraum zwischen zwei Hauptverhandlungsterminen diese freie Rücknahme nicht gelten soll, weil es ja gerade nicht "in der Hauptver...