VVG § 19
Leitsatz
1. Ob ein als sog. "Doppelbelehrung" erteilter Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung den formalen Anforderungen an die "gesonderte Mitteilung" nach § 19 Abs. 5 VVG genügt, ist mittels einer Gesamtwürdigung und nicht aufgrund einer isolierten Betrachtung der einzelnen Elemente dieser Belehrung zu entscheiden.
2. Eine "Doppelbelehrung" genügt den Anforderungen, wenn sie einerseits aus einem klaren, prägnant gefassten und durch Fettdruck hervorgehobenen Hinweis unmittelbar vor den Antragsfragen besteht, der deutlich und unübersehbar auf die Notwendigkeit der vollständigen und wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen, die Folgen eines Verstoßes sowie auf nähere Informationen in einer "gesonderten Mitteilung" im "Anhang B" hinweist, und anderseits dieser zusätzliche Hinweis, gleichwohl er sich auf der unteren Seitenhälfte nach einem optisch gleich gestalteten "Anhang A" mit "weiteren Hinweisen für den Antragsteller und die zu versichernde(n) Person(en)" befindet, angesichts dieses konkreten Verweises ohne weiteres aufzufinden ist und dort durch seine in Fettdruck gehaltene Überschrift erkennbar hervorsticht.
OLG Saarbrücken Urt. v. 6.9.2023 – 5 U 87/22
1 Aus den Gründen:
"… Das LG hat dem Antrag auf Feststellung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu Unrecht stattgegeben; denn die Bekl. ist von diesem Vertrag mit Schreiben vom 20.9.2018 wirksam wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch die Kl. zurückgetreten (§ 19 Abs. 2 VVG). Ungeachtet der von ihr später anerkannten Verpflichtung, Leistungen wegen eines schon zuvor eingetretenen Versicherungsfalles zu erbringen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 VVG), ist die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung durch den Rücktritt beendet worden."
1. Die Kl. als VN hat ihre vorvertragliche Anzeigepflicht dadurch verletzt, dass sie durch ihre Geschäftsführerin (G) als zu versichernde Person die ihr in dem Antragsformular vom 11.11.2014 gestellten Fragen nach der Gesundheit der zu versichernden Person ausnahmslos verneinte, was – in mehrfacher Hinsicht – nicht der Wahrheit entsprach.
a) Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG hat der VN (und bei der Versicherung auf die Person eines anderen auch diese, §§ 156. 176 VVG) bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der VR in Textform gefragt hat, dem VR anzuzeigen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Bekl. hat der Kl. und ihrer G. als zu versichernder Person in dem schriftlichen Antragsformular vom 11.11.2014 auf Seite 3 von 14 mehrere Fragen zu ihrer Gesundheit gestellt, darunter – zulässigerweise – insbesondere, ob sie in den letzten 5 Jahren hinsichtlich bestimmter, nachfolgend im Einzelnen aufgezählter Erkrankungen oder Beschwerden, "untersucht, beraten oder behandelt" worden sei und ob ihr in den letzten 2 Jahren von Ärzten oder Heilpraktikern Medikamente verordnet worden seien. Sämtliche dieser Fragen, die ihr unzweifelhaft ordnungsgemäß in Textform nahegebracht wurden (§ 126b BGB; vgl. dazu Senat VersR 2015, 91), hat die G. in dem Formular – durch Ankreuzen – verneint und dies durch ihre Unterschrift bestätigt. Dies entsprach jedoch nicht der Wahrheit; (wird ausgeführt).
b) Das Vorliegen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit wird durch den Einwand der Kl., beim Ausfüllen des Antrages seien ihrer G. die verschwiegenen Umstände nicht mehr in Erinnerung gewesen, nicht in Frage gestellt.
(1) Zwar gehört nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die positive Kenntnis des VeN (bzw. der zu versichernden Person, §§ 156, 176 VVG) von den anzuzeigenden Umständen zum objektiven Tatbestand der Anzeigeobliegenheit, den der VR zu beweisen hat (BGH VersR 2020, 18).
Trotz des Abstellens – nur – auf die "bekannten Gefahrumstände" in § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG erstreckt sich die Obliegenheit zur Anzeige im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck jedoch nicht nur auf das dem VN "aktuell vorhandene jederzeit verfügbare Wissen" (Knappmann, in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 14 Rn 54); sondern auch auf dasjenige Wissen, an das sich der VN bei "zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses" hätte erinnern können (vgl. BGH VersR 2009, 529; OLG Hamm, VersR 2020, 1304; …). Auch im Streitfall meint der Senat, dass die G., der die von ihr wahrgenommenen Behandlungen einschließlich der Umstände, die sie zum Arztbesuch veranlassten und die sie dort als ihre Beschwerden schilderte, unzweifelhaft bekannt waren, sich bei zumutbarer Anstrengung ihres Gedächtnisses daran hätte erinnern können und müssen, ob diese nach den vorgelegten Ausdrucken aus der Patientenkartei ihres Hausarztes mit umfassender Diagnostik und nicht unerheblichen Eingriffen – u.a. intramuskulären Injektionen von Schmerzmitteln – verbunden waren. Gerade da sie nach ihrer Darstellung nur selten zum Arzt geht, hätten sich entsprechende Erlebnisse angesichts der ausdr...