Die vom BGH in der letztgenannten Entscheidung angeführte Begründung aus der Gesetzesentstehung heraus hat auf den ersten Blick einiges für sich. Sie steht bei näherer Betrachtung einer Ausweitung der Ansprüche des nahen Angehörigen eines verunglückten Menschen auf immateriellen Schadensersatz nicht entgegen. Dies ergibt sich aus der Entstehung der Vorschriften und der Funktion des Schmerzensgeldes.
a) Gesetzesentstehung und Zweck der Gewährung von Schmerzensgeld
Die Väter des BGB hatten sich darauf verständigt, den Erben eines Getöteten nicht den vollen materiellen Schadensersatz zuzusprechen. In dem ersten Gesetzesentwurf war sogar eine Nachlassminderung wegen vorzeitigen Todes vorgesehen. Der Ersatzanspruch wurde in den §§ 844, 845 BGB auf den Ersatz der Kosten für die Beerdigung sowie für den Ausfall von Unterhalt und entgangenen Diensten beschränkt. Das deckt sich mit den seither bestehenden Grundsätzen des Schadensersatzrechts, wonach der Geschädigte aus Gründen der ausgleichenden Gerechtigkeit ein Surrogat für seinen Verlust erhalten soll, ohne "bereichert" zu werden.
Jedoch: Diese Vorschriften regeln lediglich den materiellen Schadensersatz des Angehörigen, d.h. die beim Tod eines Menschen (ausnahmsweise) ersatzfähigen Vermögensschäden. Sie befassen sich nicht mit dem hier diskutierten immateriellen Schadensersatz. In den Gesetzesmaterialien lässt sich nichts finden, was allein die Auffassung rechtfertigt, dass nur ein unmittelbares Opfer dem Grunde nach schmerzensgeldberechtigt sei.
Eine derartige "reine, ursprüngliche Lehre" wäre auch seit der "Doppelfunktion-Grundsatzentscheidung" des BGH zur Berechtigung des Schmerzensgeldanspruchs vom 6.7.1955 überholt. Danach verfolgt das Schmerzensgeld den Zweck, dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Lebenshemmungen zu gewähren, die nicht vermögensrechtlicher Art sind. Zugleich soll auch dem Gedanken Rechnung getragen werden, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung für das schuldet, was er ihm angetan hat.
In gleicher Weise wird auch in der Literatur die Funktion des Schmerzensgeldes erläutert. Neben der Ausgleichsfunktion, der Kompensation materieller Schäden, komme dem Schmerzensgeldanspruch eine Genugtuungsfunktion zu, die Zahlung eines Geldbetrages bezwecke also auch die "Besänftigung der negativen Gefühle, die aus der flagranten Verletzung des Rechts entstehen".
Derartige Gefühle entstehen doch aber unabhängig davon, ob der Anspruchsteller Opfer oder Angehöriger ist. Es ist nur die Frage, wie weit man den Zirkel schlägt; ferner, ob es zwingende systematische Gründe gibt, Angehörige trotz Existenz negativer Gefühle von einem Schmerzensgeldanspruch auszuschließen. Unter dem Gesichtspunkt der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes wirkt es konstruiert, wenn der BGH ausgerechnet bei der Frage des Angehörigenschmerzensgeldes zwischen unmittelbar und mittelbar Geschädigtem unterscheidet, wohingegen doch sonst gerade der Grad der Verkettung mit dem schädigenden Ereignis nicht eine Voraussetzung für die Gewährung von Schadensersatz ist.
So wird in einer neueren Zusammenfassung zu diesem Komplex auch der Eindruck wiedergegeben, dass der Gesetzgeber und das höchste Gericht ein Angehörigenschmerzensgeld bisher schlicht nicht wollen – trotz einer vielfach empfundenen Ungerechtigkeit sowie einer kaum noch herzustellenden Vergleichbarkeit der Rechtslage zwischen Deutschland und den meisten anderen Ländern der Europäischen Union.
b) Trauerreaktionen des Angehörigen als Gesundheitsbeeinträchtigung
Auch unter einem weiteren Gesichtspunkt erscheint die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes ebenfalls in den Fällen gerechtfertigt, in denen der Angehörige nicht i.S.d. vorerwähnten BGH-Rechtsprechung erkrankt.
Ob psychische Beeinträchtigungen eines Opfers selbst zu Schmerzensgeld verpflichten, ist eigentlich eine klare Sache: Jede Beeinträchtigung des physiologischen und psychischen Zusammenspiels im Körper eines Menschen ist dasjenige, was Deutsch als eine Gesundheitsverletzung i.S.v. § 823 BGB definiert. Konsequenterweise ist dann ein Schmerzensgeld von der Rechtsprechung bei psychischen Beeinträchtigungen des Opfers vielfach bejaht worden; so etwa bei psychischen Dauerschäden eines Unfallopfers, die zur Berufsaufgabe führen.
Ob dies auch dann gilt, wenn den psychischen Beeinträchtigungen keine unmittelbare Verletzungshandlung des Schädigers gegen den Betroffenen zugrunde liegt, scheint eher eine Frage der Adäquanz zu sein. Anders als im Strafrecht führen nur diejenigen Schadensfolgen zu einer haftungsrechtlichen Konsequenz, die "nach der Lebenserfahrung einigermaßen nahe liegend" sind.
Wenn aber beispielsweise eine Frau auf die Nachricht vom Unfalltod ihres Mannes in Trauer verfällt, Schlafstörungen hat, in ihrer...