Ist man soweit gekommen, stellt sich die Frage, ob es andere zwingende Systematiken unseres Rechts gibt, die eine Ausweitung als (sonstigen) Systembruch erscheinen ließen. Das erscheint nicht der Fall zu sein, im Gegenteil:
a) Ausgangslage
Wie bereits ausgeführt wurde, waren die Väter des BGB sowohl bei der Zubilligung von Schmerzensgeld als auch hinsichtlich des Angehörigen-Schadensersatzes zurückhaltend. Die Gründe hierfür lagen offensichtlich in den damaligen Lebensumständen.
Es war die Zeit der ausklingenden industriellen Revolution. Ständig gab es neue Erfindungen, Eisenbahn, Pkw, Elektrizität. Allen Erfindungen war zweierlei gemeinsam: Die meisten waren – im Nachhinein betrachtet – bei richtiger, i.S.d. Erfinders erfolgender Anwendung für die Menschheit ein großer Gewinn. Andererseits bargen alle derartigen Erfindungen Gefahrenpotentiale, die für den seinerzeitigen Bürger unvorstellbar waren, für viele geradezu bedrohlich sein mussten.
Die Erfinder von damals waren aber in der Vorstellungswelt ihrer Zeit nicht das Drohpotential, das Forscher genmanipulierter Pflanzen in den Augen mancher heutigen Zeitgenossen sind. Sie waren Helden, die die Sache selbst, ihre Zeit – und in den Augen vieler auch ihr Vaterland – entscheidend nach vorn brachten. Sie sollten nicht durch Schmerzensgeldverpflichtungen für Fehler, die jedem Erfinder passieren können, in geradezu existenzbedrohender Art zur Rechenschaft gezogen werden.
Auf diese Vorgabe reagierten auch die Väter des BGB. Ausgehend von dem seinerzeitigen Grundsatz, dass das Schmerzensgeld seinen Ansatz in seiner Straffunktion hat, gewährten sie den Erfindern einen gewissen Schutz davor, das jeder anfängliche Entwicklungsfehler zu ruinösen Schadensersatzpflichten führen könnte. Es sollte vermieden werden, dass Forschungen im Ausland umgesetzt würden.
Ein eherner Grundsatz des Ur-BGB war also, dass zu ersetzender Schaden stets und in aller Regel Vermögensschaden sein sollte; es sei denn, das Gesetz sah Ausnahmen ausdrücklich vor.
Die Motive nehmen zur Begründung eines daneben zuzusprechenden Schmerzensgeldes auf den seinerzeitigen § 231 StGB Bezug, der bei Körperverletzungen auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auch eine Wiedergutmachung vorsah. Diese Regelung sei die gesetzgeberische Anerkennung, dass insbesondere bei Körperverletzungen ein Bedürfnis bestehe, von dem Grundsatz einer Kompensation lediglich von Vermögensschäden abzuweichen.
Die Motive streichen an dieser Stelle weiter heraus, dass durch das Schmerzensgeld – namentlich bei körperlichen Entstellungen – auch die verminderten Aussichten der Verletzten auf ein besseres Fortkommen oder auf Versorgung kompensiert werden sollen.
Wie weit die seinerzeitige Vorstellung ging, kann aus dem ursprünglichen § 847 Abs. 2 BGB abgeleitet werden, der den Schmerzensgeldanspruch einer nicht verheirateten Frau nach erzwungenem oder "erschlichenem" außerehelichen Beischlaf vorsah. Namentlich die dadurch verminderten Heiratsaussichten waren, so ausdrücklich die Motive, ein Grund für die Einführung von Schmerzensgeld; ähnlich dem "Kranzgeld" des § 1300 BGB bei aufgelöster Verlobung.
b) Bisherige Prinzip-Durchbrechungen
Von dieser fast reinen Lehre, dass in der Regel nur Vermögensschäden zu ersetzen sind, hat sich das BGB – de lege lata wie de lege ferenda – in den vergangenen hundert Jahren an zahlreichen Stellen abgewandt. Die Zubilligung von immateriellem Schadensersatz hat sich – sowohl bezogen auf den begünstigten Personenkreis wie auch auf den Anspruchsgrund – kontinuierlich ausgeweitet. Dies sei anhand von einigen Beispielen verdeutlicht.
aa) § 231 StGB a.F.
Nach dem früheren § 231 StGB war bei Körperverletzungen auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auch eine Wiedergutmachung zu leisten. Dass diese Vorschrift schon lange abgeschafft ist, besagt im Prinzip gar nichts. Denn spätestens seit der "Doppelfunktion-Entscheidung" des BGH ist ebenfalls zivilrechtlich klar, dass Schmerzensgeld auch eine Genugtuungsfunktion hat. Allenfalls kann man etwas ketzerisch auf § 46a StGB hinweisen, diejenige Bestimmung, nach der der Richter u.a. von Strafe absehen kann, wenn der Täter die Tat wieder gutmacht. Wenn aber zivilrechtlich die Grenzen so eng gezogen werden, dass der Täter gegenüber den Angehörigen nicht haftet, dann ist ihm auch die Möglichkeit verwehrt, ohne Strafe davonzukommen. Ob dieses aus strafrechtlicher Sicht fast absurde Ergebnis rechtspolitisch zu rechtfertigen ist, erscheint zumindest fraglich.
bb) Drittschaden
Eine positive Bestimmung, die Schadensersatzansprüche der Angehörigen eines Gläubigers – sei dieser nun Vertragspartner oder G...