Von dieser fast reinen Lehre, dass in der Regel nur Vermögensschäden zu ersetzen sind, hat sich das BGB – de lege lata wie de lege ferenda – in den vergangenen hundert Jahren an zahlreichen Stellen abgewandt. Die Zubilligung von immateriellem Schadensersatz hat sich – sowohl bezogen auf den begünstigten Personenkreis wie auch auf den Anspruchsgrund – kontinuierlich ausgeweitet. Dies sei anhand von einigen Beispielen verdeutlicht.
aa) § 231 StGB a.F.
Nach dem früheren § 231 StGB war bei Körperverletzungen auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auch eine Wiedergutmachung zu leisten. Dass diese Vorschrift schon lange abgeschafft ist, besagt im Prinzip gar nichts. Denn spätestens seit der "Doppelfunktion-Entscheidung" des BGH ist ebenfalls zivilrechtlich klar, dass Schmerzensgeld auch eine Genugtuungsfunktion hat. Allenfalls kann man etwas ketzerisch auf § 46a StGB hinweisen, diejenige Bestimmung, nach der der Richter u.a. von Strafe absehen kann, wenn der Täter die Tat wieder gutmacht. Wenn aber zivilrechtlich die Grenzen so eng gezogen werden, dass der Täter gegenüber den Angehörigen nicht haftet, dann ist ihm auch die Möglichkeit verwehrt, ohne Strafe davonzukommen. Ob dieses aus strafrechtlicher Sicht fast absurde Ergebnis rechtspolitisch zu rechtfertigen ist, erscheint zumindest fraglich.
bb) Drittschaden
Eine positive Bestimmung, die Schadensersatzansprüche der Angehörigen eines Gläubigers – sei dieser nun Vertragspartner oder Geschädigter aus Delikt – ausschließt, gibt es natürlich nicht. Auch die Motive geben nicht her, dass der Gesetzgeber sich bewusst dagegen entschieden hat.
Vielmehr ist sonst die Einbeziehung Drittgeschädigter in einen Schadensfall etwas völlig Normales. Dies zeigen z.B. die Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und der Drittschadensliquidation sowie die Legalzession zugunsten des Arbeitgebers oder des Sozialversicherungsträgers nach § 6 EFZG bzw. § 116 Abs. 8 SGB X.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Besuchskosten-Rechtsprechung des BGH, wonach die Kosten Teil des Schadensersatzes sind, die nahe Angehörige im Zusammenhang mit ihren Besuchen haben, wenn ein Unfallopfer stationär im Krankenhaus behandelt wird. Um das hier thematisierte Problem zu umgehen, ordnet man den Ersatzanspruch dem Patienten als unmittelbar Verletztem zu, d.h. mit einigen juristischen Kunstgriffen werden die Aufwendungen des mittelbar Geschädigten als Schaden des "unmittelbar" Verletzten behandelt. Bei näherer Betrachtung scheint es jedoch fast grotesk, davon auszugehen, dass die Angehörigen dem Patienten ihre Besuchskosten tatsächlich in Rechnung stellen. Es wäre wohl praxisnaher, den besuchenden Angehörigen einen eigenen Ersatzanspruch zuzubilligen.
cc) Abschaffung § 847 Abs. 1 S. 2 BGB
Eine weitere Tendenz zur Einbeziehung des Drittbetroffenen zeigt die Abschaffung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB im Jahr 1990, der in seiner ursprünglichen Version "Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf den Erben über, es sei denn, dass er anerkannt oder dass er rechtshängig geworden ist." lautete.
Die Väter des BGB gingen noch von dem Grundsatz aus, dass mit dem Tode der von dem Verletzten erduldete Schmerz sterbe und es anstößig sei, dem Erben die Geltendmachung eines Geldbetrages zuzusprechen, an deren Forderung der Verletzte vielleicht gar nicht dachte. Insbesondere die letzte Alternative des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB, nach der Vererblichkeit ab Rechtshängigkeit möglich war, führte zu einem makaberen Wettlauf mit dem Tod; dann nämlich, wenn der Verletzte im Koma lag, das Bewusstsein vor Todeseintritt nicht wiedererlangte und die Einreichung einer Klage möglich war.
Die Abschaffung jener Bestimmung ist aber eine gegenläufige Entwicklung im Verhältnis zu der hier diskutierten Frage. Während hinsichtlich des Angehörigenschmerzensgeldes der BGH die Einbeziehung Dritter, mittelbar Geschädigter, ausdrücklich ablehnt, können seit der Abschaffung von § 847 Abs. 1 S. 2 BGB diese Dritten als Erben nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers einen Schmerzensgeldanspruch geltend machen und werden so gesetzgeberisch geschützt. Anders macht die Abschaffung der Bestimmung, die zugleich eine Ausweitung des Kreises der Berechtigten ist, keinen systematischen Sinn. Von dieser Gesetzesänderung aus ist es kein weiter Weg zur rechtspolitischen Anerkennung auch eines unmittelbaren Schadensersatzanspruchs der mittelbar Geschädigten.
dd) Schadenskommerzialisierung durch die Rechtsprechung
Nach § 253 Abs. 1 BGB kann für immaterielle Schäden nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen Ersatz gefordert werden. Als Beispiele seien der ehemalige § 847 BGB, der jetzige § 253 Abs. 2 BGB, der Anspruch auf Schadensersatz für entgangene Urlaubsfreude – auf den noch gesondert zurückgekommen wird – sowie Vorschriften des Urheber-, Datenschutz-, und des Sozialrechts und der Europäischen Menschen...