StVG § 3 Abs. 3 S. 1; VwVfG § 46; VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Mit der Bindungswirkung des § 3 Abs. 1 S. 1 StVG sollen bei Vorrangigkeit des Strafverfahrens widersprüchliche Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörden und Gerichten vermieden werden. Der Fahrerlaubnisbehörde fehlt demnach in den in § 3 Abs. 3 S. 1 StVG genannten Fällen bis zur Einstellung des Strafverfahrens oder bis zur Rechtskraft der ergehenden Entscheidung die Befugnis, selbst über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu befinden.
2. Nach einer in der Rspr. vertretenen Auffassung (wie BayVGH, Beschl. v. 14.2.06 – 11 CS 05.1210) handelt es sich bei § 3 Abs. 3 S. 1 StVG um eine der Durchsetzung des materiellen Rechts dienende Verfahrensvorschrift. Verstöße gegen verfahrensrechtliche Bestimmungen sind aber gem. § 46 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG) unbeachtlich, wenn sie ohne Einfluss auf die Entscheidung in der Sache gewesen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Behörde nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, nach Einstellung des Strafverfahrens die Entziehung der Fahrerlaubnis erneut auszusprechen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.12.07 – 12 ME 360/07
Aus den Gründen
“Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A und BE.
Der Antragsteller wurde am … um 21.45 Uhr in E. als Fahrer eines Pkw polizeilich kontrolliert. Wegen des Verdachts auf Betäubungsmittelkonsum wurde um 22.10 Uhr eine Blutentnahme durchgeführt, die nach dem Untersuchungsbericht der F. GmbH, vom 13.4.2007 einen positiven Cannabis-Befund erbrachte, wobei die entnommene Blutprobe Werte von 47,5 ng/ml THC und >200 ng/ml (ca. 360 ng/ml) THC-COOH aufwies. Die Polizeiinspektion E. erstattete unter dem 8.4.2007 Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit gem. § 24a StVG und unter dem 20.4.2007 Strafanzeige wegen eines Verstoßes nach § 29 BtMG gegen den Antragsteller. Die Ordnungswidrigkeit wurde durch Bußgeldbescheid vom 5.6.2007 geahndet. Das Strafverfahren wegen der Betäubungsmittelstraftat wurde am 28.6.2007 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit Bescheid vom 8.5.2007 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis und führte zur Begründung an, der hohe THC-COOH Wert deute auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum hin und der Antragsteller sei mithin zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet.
Am 8.6.2007 hat der Antragsteller gegen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung Klage erhoben und um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Den Eilantrag hat das VG [VG Hannover v. 18.9.07 – 5 B 3015/07] … abgelehnt, weil der angefochtene Bescheid auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV zu Recht ergangen sei, denn bei einer spontan durch die Polizei angeordneten Blutuntersuchung könne bei einem Wert des Abbauproduktes THC-COOH von 150 ng/ml und mehr auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum geschlossen werden. Die Entziehung sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil der Antragsgegner den Ausgang des wegen des Vorfalls vom … eingeleiteten Strafverfahrens nicht abgewartet habe. Zwar dürfe gem. § 3 Abs. 3 StVG, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig sei, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht komme, die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens sei, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sei aber eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Strafverfahren bereits bei dessen Einleitung nicht in Betracht gekommen. Denn den bei dem Vorfall getroffenen Feststellungen der Polizei sei ohne weiteres zu entnehmen gewesen, dass der Antragsteller den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr nicht erfüllt habe. Durch den Cannabiskonsum bedingte Ausfallerscheinungen seien nicht – jedenfalls nicht zweifelsfrei – festgestellt worden. Auch sonst seien keine Umstände ersichtlich gewesen, die den Antragsteller gem. § 69 Abs. 1 S. 1 StGB als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet hätten erscheinen lassen.
II. Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gem. § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht.
Der Antragsteller macht geltend, entgegen der Auffassung des VG sei im Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung der Ausgang des Strafverfahrens offen und auch in jenem Verfahren eine Entziehung der Fahrerlaubnis zumindest möglich gewesen. Dafür hätte es indes weiterer Ermittlungen und Aufklärungsmaßnahmen im Rahmen des Strafverfahrens bedurft. Vor dessen Abschluss habe die Straßenverkehrsbehörde wegen der Bindungswirkung des § 3 Abs. 3 S. 1 StVG nicht handeln dürfen. Diese Erwägungen sind nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.
Gem. § 3 Abs. 3 S. 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde in einem Fahrerlaubnisentziehungsverfahren den Sachverhalt, der Gegenstand eines gegen den Inhaber der Fahrer...