FeV §§ 22 Abs. 2, 13 Nr. 1, Nr. 2 lit. a, 11 Abs. 3 Nr. 3
Leitsatz
1. Chronischer Alkoholkonsum bzw. ein Alkoholproblem dürfen nicht ohne weiteres mit Alkoholabhängigkeit gleichgesetzt werden; beide Begriffe können auch auf einen starken Trinker zutreffen, der das Stadium der Abhängigkeit noch nicht erreicht hat (vgl. zum Ganzen: BayVGH vom 20.12.2004, 11 CS 03.3412, juris). Das Erreichen einer hohen Blutalkoholkonzentration kann nur zusammen mit weiteren Kriterien, die für eine Toleranzbildung gegenüber Alkohol sprechen, als hinreichender Anhaltspunkt für eine mögliche Alkoholabhängigkeit gewertet werden.
2. Für eine Besorgnis, dass der betroffene Kraftfahrer einen die Verkehrssicherheit gefährdenden Alkoholkonsum und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch), kann auch ein mittelbarer Bezug zum Straßenverkehr, eine Alkoholauffälligkeit ohne direkte Teilnahme am Straßenverkehr, genügen. Es muss allerdings ein innerer Zusammenhang zwischen der Alkoholisierung und einer Verkehrsteilnahme bestehen.
3. Einzelfälle zur Alkoholauffälligkeit ohne direkte Teilnahme am Straßenverkehr mit und ohne inneren Zusammenhang zwischen der Alkoholisierung und einer Verkehrsteilnahme.
(Leitsätze der Schriftleitung)
VG Augsburg, Urt. v. 8.5.2007 – Au 3 K 07.105 (rechtskräftig)
Sachverhalt
Der Kläger wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 2.8.2005 wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt; außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Kläger vor Ablauf von sechs Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Der Kläger hatte am 24.3.2005 als Beifahrer in dem in seinem Eigentum stehenden, von seiner Frau geführten Fahrzeug in das Lenkrad gegriffen. Dadurch kam das Kraftfahrzeug von der Straße ab und beschädigte neben der Fahrbahn befindliche Gegenstände. Der Kläger entfernte sich trotz des Bemerkens des Schadens von der Unfallstelle. Zur Tatzeit stand der Kläger unter Alkoholeinfluss mit einer mittleren Blutalkoholkonzentration von 1,81 Promille. Nach den ärztlichen Feststellungen anlässlich der Blutentnahme roch der Kläger deutlich nach Alkohol, war jedoch von sicherem Gang; auch ansonsten war die Feinmotorik nicht beeinträchtigt.
Weiter wurde bekannt, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr eingeleitet, aber nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Er habe am 23.12.2005 als Beifahrer seines Fahrzeugs, das von seiner Frau gelenkt worden sei, erneut in angetrunkenem Zustand im Streit drei Mal in das Lenkrad gegriffen. Die Ehefrau habe das Fahrzeug jedes Mal abbremsen müssen; es sei aber nicht zu einem Unfall gekommen. Ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde durch das AG mit Beschl. v. 30.6.2006 nach § 153 Abs. 2 StPO wegen geringer Schuld eingestellt. Bei einem Streit am 18.11.2005 habe der stark angetrunkene Kläger seine Frau festgehalten und ihr dabei Verletzungen zugefügt, die in einer Notfallpraxis versorgt werden mussten. Die Eheleute leben mittlerweile getrennt und haben Vereinbarungen u.a. über die Räumung der früheren Ehewohnung durch den Kläger und die Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten nach den genannten Vorfällen geschlossen.
Der Antragsteller beantragte die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Das Landratsamt forderte mit Schreiben vom 8.3.2006 vom Kläger die Beibringung eines Facharztgutachtens einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung. Die bei dem Unfall am 24.3.2005 erreichte Blutalkoholkonzentration deute auf einen längerfristig überhöhten Alkoholkonsum bzw. gewohnheitsmäßigen Alkoholmissbrauch hin. Es sei durch das Facharztgutachten die Frage zu klären, ob sich die Annahme von Alkoholabhängigkeit beim Kläger bestätigen lasse. Weiter sei zu untersuchen, ob sich Anzeichen für Alkoholmissbrauch fänden. Ebenso sei zu klären, ob der Kläger gegebenenfalls eine Alkoholabhängigkeit überwunden habe und stabile Abstinenz vorliege. Für den Fall, dass das Gutachten nicht vorgelegt werde, müsse auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden. Der Kläger legte das geforderte Gutachten jedoch nicht vor.
Nach Anhörung lehnte das Landratsamt den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klasse C1E (eingeschlossen die Klassen B, BE, C1, M, L und S) mit Bescheid vom 20.10.2006 ab. Der Kläger gelte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da er das zu Recht geforderte Facharztgutachten nicht beigebracht habe.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger Klage.
Aus den Gründen
“Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Landratsamtes vom 20.10.2006 und der Widerspruchsbescheid sind aufzuheben, da sie rechtwidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen; der Kläger hat Anspruch auf die Beauftragung der zuständigen technischen Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr zur Prüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers ...