VV RVG Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300, 3100; §§ 49, 55, 58 Abs. 2 RVG
Leitsatz
1. Eine dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist auf die aus der Landeskasse zu zahlende gerichtliche Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG unter den in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG genannten Voraussetzungen unabhängig davon anzurechnen, ob der Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat.
2. Auf die aus der Tabelle zu § 49 RVG abzulesende 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ist deshalb die ebenfalls aus der Tabelle zu § 49 RVG abzulesende hälftige Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG anzurechnen.
(Leitsätze des Bearbeiters)
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.11.2008 – I – 10 W 109/08
Sachverhalt
Das LG Düsseldorf hatte dem Beklagten Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. Nach Beendigung der Angelegenheit hat der Rechtsanwalt die Festsetzung der ihm aus der Landeskasse zustehenden Gebühren und Auslagen beantragt. Der hierfür zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des LG hat diesem Antrag entsprochen und u.a. eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG festgesetzt. Unter Hinweis auf ein vorgerichtliches Anspruchsabwehrschreiben des Beklagten-Vertreters hat der Bezirksrevisor mit seiner Erinnerung die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG begehrt. Der Einzelrichter des LG Düsseldorf hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Vertreters der Landeskasse hatte beim OLG Düsseldorf Erfolg.
Aus den Gründen
Aus den Gründen:„ 3. Eine anzurechnende Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 ist auch bei einem später im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nach RVG VV-Vorbemerkung 3.4 uneingeschränkt auf die gerichtliche Verfahrensgebühr nach VV-Nr. 3100 anzurechnen (so auch OLG Braunschweig OLGR 2008, 837; OLG Bamberg RVGreport 2008, 343; OLG Oldenburg RVGreport 2008, 345 sogar weiter gehend auch für den Fall, dass die Prozesspartei Anspruch auf Beratungshilfe hätte; OLG Oldenburg RVGreport 2008, 342 = JurBüro 2008, 527; OLG Oldenburg RVGreport 2008, 260).
Es gibt auch nach Auffassung des Senats keine rechtfertigenden Gründe dafür, im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG eine Anrechnung nur dann vorzunehmen, wenn der Anwalt die anrechenbare zweite Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat (so aber OLG Stuttgart RVGreport 2008, 206 = JurBüro 2008, 245). Der durch die Kürzung entfallende Teil der Verfahrensgebühr lebt nicht nachträglich wieder auf, sofern es dem im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nicht gelingt, seinen Vergütungsanspruch hinsichtlich der Geschäftsgebühr gegenüber seinem Mandanten oder dem Gegner zu realisieren; eine solche Ausnahme lässt sich weder der Anrechnungsvorschrift entnehmen (vgl. auch OLG Bamberg RVGreport 2008, 343 und OLG Oldenburg RVGreport 2008, 260) noch erscheint sie geboten.
Das Gesetz unterscheidet in RVG VV-Vorbemerkung 3.4 nicht danach, ob der Partei im nachfolgenden Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Die Anrechnung hat vielmehr immer dann zu erfolgen, wenn vorprozessual eine Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 entstanden ist und in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr nach RVG VV-Nr. 3100 anfällt, sei es auch in der verminderten Höhe des § 49 RVG.
Zutreffend ist zwar, dass der im späteren gerichtlichen Verfahren im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt den gegen seinen Mandanten gerichteten Anspruch in aller Regel nicht mit Erfolg wird geltend machen können, weil der Mandant ausweislich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe über eine etwa angeordnete Ratenzahlung hinaus wirtschaftlich nicht leistungsfähig ist. Diesem Risiko kann der Anwalt jedoch begegnen, indem er seinen Vergütungsanspruch vor einem nachträglichen Vermögensverfall durch einen Vorschuss sichert. Bei einer Vorschussanforderung wird ggfs.a. eine etwaige Bedürftigkeit des Mandanten i.S.d. Beratungshilfe offenbar, sodass der Anwalt sich über die Vorschriften der Beratungshilfe absichern kann (vgl. auch OLG Braunschweig OLGR 2008, 837; OLG Oldenburg, Beschl. v. 8.5.2008, 8 W 57/08). Macht der Anwalt von der Vorschussanforderung keinen Gebrauch, so hat er wie jeder andere Anwalt auch das Risiko einer nachträglich eintretenden mangelnden Leistungsfähigkeit seines Mandanten zu tragen. Wollte man die Anrechnung nach RVG VV-Vorbemerkung 3.4 im Falle späterer Prozesskostenhilfe-Bewilligung nur dann vornehmen, wenn der Anwalt die vorprozessuale Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat, würde man letztlich das Risiko des nachträglichen Vermögensverfalls (in Höhe des anrechenbaren Teils der Geschäftsgebühr) auf die Landeskasse abwälzen, wofür kein rechtfertigender Grund besteht. Überdies bestünde die Gefahr, dass der Anwalt neben der aus der Staatskasse zu erstattenden vollen Verfahrensgebühr auch die vorgerichtliche Geschäftsgebühr durch einen bis dahin noch so...