I. Allgemeine Grundsätze
Hat der Verletzte seinerseits gegen Rechtsvorschriften verstoßen, etwa weil er mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist und dadurch den Schaden mit verursacht hat, kommt stets ein Mitverschulden in Betracht. Ein Mitverschulden kann aber auch vorliegen, wenn der Verletzte gegen eine (geschriebene oder ungeschriebene) Rechtspflicht verstoßen hat, die in erster Linie seinem eigenen Schutz dienen soll, weil er etwa berufsgenossenschaftliche Unfallverhütungsvorschriften oder die Gurtanlegepflicht nicht beachtet hat. Vor allem diese letzte Verpflichtung wird untechnisch als "Verschulden gegen sich selbst" bezeichnet. Der Bundesgerichtshof definiert das Mitverschulden allerdings regelmäßig ohne diese Unterscheidungen allgemein als Außerachtlassen derjenigen Sorgfalt, die ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Darunter wird – wie in diesem Vortrag – allgemein das Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB und der Sondervorschriften bei der Gefährdungshaftung verstanden. Aus der Definition des Mitverschuldens ergibt sich, dass den Geschädigten ein gewichtigerer Vorwurf trifft, wenn in der Vernachlässigung der eigenen Schutzinteressen zugleich ein Verstoß gegen eine Rechtspflicht liegt.
Nach den Grundsätzen des Haftungsrechts ist ein Mitverschulden nur zurechenbar, wenn es den Schaden adäquat mit verursacht hat und zudem vom Schutzzweck der verletzten Norm umfasst wird. Deswegen wurde etwa in folgendem Fall ein Mitverschulden verneint: Der Sohn des Klägers befuhr mit dessen Wagen in einem Neubaugebiet einen unbefestigten Feldweg. Der Wagen blieb mit seiner Vorderachse an einem zwischen den Fahrspuren liegenden Kanalschacht hängen, der etwa 10 bis 12 cm über die Höhe der Fahrrinnen hinausragte. Dadurch wurde der Pkw des Klägers erheblich beschädigt. Hier war bei der Abwägung der zum Unfall führenden Umstände nicht zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass sein Sohn sich in den ausgefahrenen Fahrspuren hielt und dadurch möglicherweise gegen das Rechtsfahrgebot verstieß. Dieses Gebot dient dem Schutz des Gegenverkehrs und Überholverkehrs und insoweit auch dem eigenen Schutz dessen, der rechts fahren soll. Das Gebot hat aber nicht den Zweck, vor Hindernissen auf der Fahrbahn oder vor Gefahren zu schützen, die vom Zustand der Fahrbahnoberfläche ausgehen.
Ebenso wurde die Zurechenbarkeit des Mitverschuldens verneint, als beim Abschleppen eines Fahrzeugs ein Schaden verursacht wurde, weil das abgeschleppte Auto ein entgegenkommendes Fahrzeug berührte. Der Abschleppunternehmer hatte mit dem Vorbringen keinen Erfolg, der geschädigte Mercedesfahrer habe den Schaden durch sein falsches Parken mit verschuldet. Sowohl das Halteverbot nach § 12 Abs. 1 Nr. 6 StVO als auch die Pflicht zur Sicherung des Fahrzeugs gegen unbefugten Gebrauch nach § 14 Abs. 2 StVO dienten nicht dem Schutz oder den Interessen des Abschleppunternehmers. § 254 Abs. 1 BGB soll als Ausprägung des in § 242 BGB normierten Grundsatzes von Treu und Glauben den Schädiger (nur) in dem Umfange von einer Haftung entlasten, in dem der Schaden billigerweise dem eigenen Verhalten des Geschädigten zugerechnet werden muss. Hier gehörte es indes gerade zu den vom Abschleppunternehmer übernommenen Pflichten, auch solche Fahrzeuge sicher und schadenfrei abzuschleppen, die sich nicht in ordnungsmäßigem Zustand oder am falschen Platz befanden. Ebenso wird einem Arzt der Einwand versagt, der fehlerhaft behandelte Patient habe seine Behandlungsbedürftigkeit selbst verschuldet.
II. Mitverschulden bei Kindern
Bei Kindern gelten für das Mitverschulden die gleichen Grundsätze für eine Verantwortlichkeit i.S.d. § 828 BGB wie bei der Haftungsbegründung. Eine Anspruchskürzung scheidet daher bei Kindern unter 7 Jahren generell aus. Bei Kindern, die das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet haben, ist nach § 828 Abs. 2 BGB ein Mitverschulden bei Unfällen mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ausgeschlossen, wenn nicht ausnahmsweise eine teleologische Reduktion des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB vorzunehmen ist. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn sich keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei dem Haftungsprivileg nicht grundsätzlich zwischen dem fließenden und dem ruhenden Verkehr zu unterscheiden, wenn auch das Haftungsprivileg im fließenden Verkehr häufiger als im sog. ruhenden Verkehr eingreifen mag. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich in besonders gelagerten Fällen auch im ruhenden Verkehr eine spezifische G...