RVG § 15a; Vorbem. 3 Abs. 4; Nr. 2300, 3100 VV RVG; ZPO §§ 103,104
Leitsatz
1. Auch in Altfällen ist eine Geschäftsgebühr nur unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 2 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 9.12.2009, XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456).
2. Die Rechtskraft einer Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren über einen Antrag, mit dem eine Verfahrensgebühr unter hälftiger Anrechnung der Geschäftsgebühr geltend gemacht worden ist, steht einer Nachfestsetzung der restlichen Verfahrensgebühr nicht entgegen.
BGH, Beschl. v. 28.10.2010 – VII ZB 15/10
Sachverhalt
Der erstattungsberechtigte Kläger hatte beim LG Chemnitz in seinem Kostenfestsetzungsantrag u.a. eine um den Anrechnungsbetrag der Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ermäßigte 0,65 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des LG hat diesem Antrag durch ihren Kostenfestsetzungsbeschl. v. 12.2.2009 entsprochen. Dieser Kostenfestsetzungsbeschl. ist rechtkräftig geworden. Mit seinem Nachfestsetzungsantrag hat der Kläger die Festsetzung der restlichen Verfahrensgebühr begehrt, weil die Anrechnung der Geschäftsgebühr zu Unrecht erfolgt sei. Die Rechtspflegerin des LG hat diesen Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das OLG Dresden RVGreport 2010, 193 (Hansens) = AGS 2010, 308 zurückgewiesen. Die zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers führte zur antragsgemäßen Nachfestsetzung.
2 Aus den Gründen:
"… [3] 1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Nachfestsetzung sei unzulässig, da ihr die materielle Rechtskraft des Festsetzungsbeschl. v. 12. 2. 2009 entgegenstehe. Das LG habe über die Verfahrensgebühr rechtskräftig entschieden. Daran ändere nichts, dass der Kläger seinerzeit nur die Kosten der ermäßigten Verfahrensgebühr geltend gemacht habe. Mehr habe ihm nach der Rspr. des BGH nicht zugestanden. Das LG habe also nicht nur über einen Teil der Verfahrensgebühr entschieden, sondern über den Erstattungsanspruch in voller Höhe, so wie er dem Kläger zugestanden habe. Demnach bleibe kein Rest, der von den Wirkungen der Rechtskraft ausgenommen und daher einer Nachfestsetzung zugänglich wäre."
[4] 2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Nachfestsetzungsantrag ist begründet. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr findet nicht statt (a). Einer Nachfestsetzung steht die Rechtskraft des Beschlusses des LG Chemnitz vom 12. 2 2009 nicht entgegen (b).
[5] a) Der BGH hat bis zur Einführung des § 15a RVG durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.7.2009 entschieden, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 RVG VV Nr. 3100 auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei (vgl. grundlegend BGH NJW 2008, 1323 = zfs 2008, 288 m. Anm. Hansens = RVGreport 2008, 148 (Hansens)).
[6] Nach Inkrafttreten des § 15a RVG vertreten alle mit der Entscheidung befassten Senate des BGH teilweise unter Aufgabe ihrer bisherigen Rspr. die Auffassung, dass durch § 15a RVG lediglich eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 2. September 2009 – II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rn 8; Beschl. v. 9.12.2009 – XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456 Rn 16; Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 82/08, AGS 2010, 159 Rn 6; Beschl. v. 29.4.2010 – V ZB 38/10, AGS 2010, 263 Rn 8; Beschl. v. 10.8.2010 – VIII ZB 15/10, bei juris). Danach findet auch für Kostenfestsetzungen vor Inkrafttreten dieser Norm eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nur unter den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Voraussetzungen statt. Der VII. Zivilsenat schließt sich dieser Rspr. an und nimmt zur Begründung Bezug auf die Entscheidung des XII. Zivilsenats vom 9. Dezember 2009 (XII ZB 175/07, a.a.O.).
[7] b) Danach ist auf den Nachfestsetzungsantrag des Klägers eine weitere Verfahrensgebühr in Höhe von 318,68 EUR nebst Zinsen festzusetzen. Dieser Festsetzung steht nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschl. des LG vom 12. Februar 2009 entgegen.
[8] Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Kostenfestsetzungsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft fähig sein können (vgl. BGH NJW 2003, 1462). Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme, über den im Nachfestsetzungsverfahren geltend gemachten Teil der Verfahrensgebühr sei bereits entschieden. Dieser war nicht Gegenstand der Entscheidung vom 12. 2. 2009.
[9] aa) Die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschl. bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschl. beschiedenen Beträge. Eine Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich desselben Postens hindert sie grds. nicht (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 103 Rn 12; PG/K. Schmidt, ZPO, 2. Aufl., § 103 Rn 27; MünchKommZPO/Giebel, 3. Aufl., § 104 Rn 128 f.; vgl. OLG Stuttgart MDR 2009, 1136, zur Nachfestsetzung der Umsatzsteuer; BVerfG, Rpfl...