StVG §§ 7 Abs. 1, 18
Leitsatz
Ein Unfall kann auch dann dem Betrieb eines anderen Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, wenn er durch eine – objektiv nicht erforderliche – Ausweichreaktion im Zusammenhang mit einem Überholvorgang des anderen Fahrzeugs ausgelöst worden ist. Nicht erforderlich ist, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden (im Anschluss an Senatsurt. v. 26.4.2005 – VI ZR 168/04).
BGH, Urt. v. 21.9.2010 – VI ZR 263/09
Sachverhalt
Der Kl., ein Polizeibeamter, begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens nach einem Verkehrsunfall, den er am 13.9.2004 auf dem Weg zu seiner Dienststelle erlitt und bei dem er schwer verletzt wurde. Er befuhr gegen 11.00 Uhr mit seinem Motorrad die Bundesstraße B 189 von K in Richtung H Hinter dem Ortsausgang von K ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt. Nach dem Durchfahren einer Linkskurve, hinter der ein zuvor bestehendes Überholverbot endet, wollte der Kl. zwei vor ihm fahrende Pkw überholen, nämlich den von dem Bekl. zu 2) gesteuerten Pkw VW Passat, dessen Halterin seine Ehefrau ist und der bei der Bekl. zu 1) haftpflichtversichert ist, und den vor diesem fahrenden Pkw Skoda, der von dem Zeugen S gesteuert wurde. Zu dem Unfall, dessen genauer Hergang streitig ist, kam es, weil auch der Bekl. zu 2) den Pkw Skoda überholen wollte und dazu ansetzte. Der Kl. nahm eine Notbremsung vor und leitete ein Ausweichmanöver ein. Dabei kam er nach links von der Fahrbahn ab und streifte einen Alleebaum. Danach schleuderten er und sein Motorrad zwischen dem VW Passat und dem Skoda nach rechts über die Straße und blieben dort neben der Fahrbahn liegen. Zu einer Berührung zwischen dem Motorrad des Kl. und einem der Pkw kam es nicht.
Das LG hat der Klage teilweise auf der Grundlage einer Haftungsquote von 50 % stattgegeben. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung der Bekl. hat das OLG, dessen Urt. u.a. in NJW 2009, 2962 veröffentlicht ist, die Klage vollumfänglich abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kl. mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision, mit der er hinsichtlich der Haftungsquote die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urt. erstrebt und seinen Schmerzensgeldanspruch, soweit dieser den vom LG zuerkannten Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens übersteigt, in eingeschränktem Umfang weiterverfolgt.
2 Aus den Gründen:
[3] "I. Das Berufungsgericht führt aus, einer Haftung der Bekl. gem. § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG stehe zwar nicht schon entgegen, dass es zu keiner Berührung zwischen dem von dem Kl. geführten Motorrad und dem Pkw Passat des Bekl. zu 2) gekommen sei, denn für das Haftungsmerkmal “bei dem Betrieb‘ genüge es, dass sich eine von dem betreffenden Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr verwirklicht habe und diese den Schadensablauf mitgeprägt habe. Erforderlich sei aber, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Kraftfahrzeugs zu dem Unfallgeschehen beigetragen habe. In den Fällen, in denen es nicht zu einer Berührung der betreffenden Kraftfahrzeuge gekommen sei, habe der Geschädigte den erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Betrieb des anderen Kraftfahrzeugs und dem Schadensereignis darzutun und zu beweisen; etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit gingen zu seinen Lasten. Im Streitfall stehe nicht fest, dass der Kl. sich durch die Fahrweise des Bekl. zu 2) zu einem Ausweichmanöver habe veranlasst sehen müssen, um eine Kollision mit dem zum Überholen ansetzenden Pkw des Bekl. zu 2) zu vermeiden. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich der Kl. zu dem Zeitpunkt, als der Bekl. zu 2) den Überholvorgang einleitete, noch in der rechten Fahrspur befand, sei nicht ersichtlich, auf Grund welcher Umstände er sich durch die Einleitung des Überholvorgangs des Bekl. zu 2) zu der von ihm vorgenommenen Reaktion habe herausgefordert sehen dürfen. Erforderlich sei, dass das Verhalten des Bekl. zu 2) für den Kl. zu der Befürchtung hätte Anlass geben müssen, dass es ohne eine Reaktion durch ihn zu einer Kollision kommen werde. Nach den getroffenen Feststellungen stehe aber nicht fest, dass die vom Kl. vorgenommene Ausweichreaktion subjektiv vertretbar gewesen sei und insb. für ihn die einzige Möglichkeit dargestellt habe, einen Zusammenstoß mit dem Kraftfahrzeug des Bekl. zu 2) zu vermeiden, etwa weil ein rechtzeitiges Abbremsen nicht mehr möglich gewesen sei.
[4] II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[5] 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gem. § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gem. § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG auch dann eingreifen können, wenn es nicht zu einer Berührung zwischen den am Unfallgeschehen beteiligten Kraftfahrzeugen gekommen ist. Eine Haftung kommt grds. nämlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. ...