"… Entgegen der Ansicht der Beklagten sind vorliegend die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt, so dass abweichend von § 28 Abs. 2 VVG eine Leistungsfreiheit wegen der festge-stellten Verletzung der Aufklärungsobliegenheit – Angabe einer deutlich zu niedrigen Laufleistung im Fragebogen der Beklagten – tatsächlich nicht in Betracht kam. Nach dem vorgetragenen Akteninhalt war diese Falschangabe letztlich weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich, da der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung … das Ergebnis der Schlüsselauslesung … bereits bekannt war und sie damit die Auswirkung der höheren Fahrleistung – Herabsetzung des Wiederbeschaffungswertes – ohne weiteres berücksichtigen konnte."
Soweit die Beklagte meint, die Annahme des LG, der Kausalitätsgegenbeweis sei geführt, wenn – wie vorliegend – der Versicherer den "wahren Sachverhalt" noch rechtzeitig vor seiner Entscheidung erfahre oder sich die erforderlichen Erkenntnisse anderweitig verschaffen könne“, verkehre die Aufklärungsobliegenheit in ihr Gegenteil und verwandele sie in ein Recht zur Lüge, vermag der Senat ihr nicht zu folgen.
Die Ausführungen des Ausgangsgerichts entsprechen im Hinblick auf das vorliegend anwendbare VVG 2008 vielmehr der geltenden Rechtslage. Mit der Neufassung des VVG hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls wesentlich geändert. Unter der Geltung des § 6 Abs. 3 VVG a.F. war der Versicherer im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung seitens des Versicherungsnehmers regelmäßig von seiner Verpflichtung zur Leistung frei, selbst wenn die Verletzung im konkreten Einzelfall für den Versicherer folgenlos geblieben war, es sei denn, die Verletzung der Obliegenheit war als solche schon generell-abstrakt nicht geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden oder den Versicherungsnehmer traf subjektiv kein schweres Verschulden (st. Rspr. des BGH, VersR 2004, 1117, sog. Relevanz-Rspr.). Diese Rspr. beruhte auf der Erwägung, die völlige Leistungsfreiheit des Versicherers und damit das Alles-oder-Nichts-Prinzip sei bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen, die folgenlos geblieben sind, eine zu harte "Strafe" für den Versicherungsnehmer, weil er – anders als bei grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen – den gesamten Versicherungsschutz in jedem Falle ohne Rücksicht darauf verlieren sollte, ob sein Verhalten überhaupt Nachteile für den Versicherer verursacht hat; das Alles-oder-Nichts-Prinzip wurde daher mit Rücksicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben und der Verhältnismäßigkeit sowie die Gebote der materiellen Gerechtigkeit abgemildert (BGH VersR 1982, 742; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rn 53).
Nach dem eindeutigen Wortlaut der nunmehr geltenden Regelung in § 28 Abs. 3 VVG kommt dagegen, solange der Versicherungsnehmer nicht arglistig gehandelt hat, eine Leistungsfreiheit des Versicherers schon dann nicht mehr in Betracht, wenn die Verletzung der Obliegenheit im konkreten Fall für den Versicherer folgenlos geblieben ist. Damit aber stellt sich die von der Beklagten im Rahmen der Berufungsbegründung erneut aufgeworfene Frage, ob die Obliegenheitsverletzung der Klägerin vorliegend generell-abstrakt geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, nach neuem Recht gerade nicht mehr. Würde man für den Wegfall der Leistungsfreiheit die konkrete Folgenlosigkeit nicht ausreichen lassen, sondern – zugunsten des Versicherers – fordern, dass die Obliegenheitsverletzung schon generell nicht geeignet war, seine Interessen zu verletzen, so würde der Zweck der Relevanzrechtsprechung, die harte Sanktion der Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung abzumildern, in sein Gegenteil verkehrt.
Soweit die Begründung des Regierungsentwurfs zum neuen VVG … im Einleitungssatz darauf verweist, § 28 Abs. 3 S. 1 VVG lege in Anlehnung an die sog. Relevanzrechtsprechung des BGH für die Leistungsfreiheit nach Abs. 2 ein Kausalitätserfordernis fest, ist dies offensichtlich nur irreführend formuliert (vgl. Bruck/Möller, Heiss, VVG, 9. Aufl., § 28 Rn 160 und Fn 652; Maier, r+s 2007, 89, 91; Heß, NJW-Spezial 2010, 649) und bedeutet, dass der Gesetzgeber in Anlehnung und Weiterführung der Relevanzrechtsprechung die völlige Leistungsfreiheit des Versicherers durch die Neuregelung einschränken will. Dies ergibt sich aus der nachfolgenden weiteren Begründung zu § 28 Abs. 3 VVG, die vollständig lautet:
“In Anlehnung an die sog. Relevanzrechtsprechung des BGH legt Satz 1 für die Leistungsfreiheit nach Abs. 2 ein Kausalitätserfordernis fest. Der Versicherer ist nicht leistungsfrei, wenn und soweit die Obliegenheitsverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Versichere...