VVG § 43 § 44
Leitsatz
Die Rechte des Inhabers eines Sicherungsscheins aus einer Sachversicherung werden gegenüber dem Versicherer nicht bereits durch den Gesichtspunkt des versicherten Interesses, d.h. den Grundsatz der konkreten Bedarfsdeckung, eingeschränkt. Ob der gesicherte Eigentümer verpflichtet ist, die Versicherungsleistung zur Wiederherstellung des versicherten Fahrzeugs zu verwenden, ist allein im Rahmen der Rechtsbeziehung zum Nutzer des Fahrzeugs zu entscheiden. Eine abredewidrige Zahlung des Versicherers an den Versicherungsnehmer oder nach Schadensbehebung an die Werkstatt ist gegenüber dem gesicherten Eigentümer nach Maßgabe des Sicherungsscheins ohne Tilgungswirkung.
OLG Stuttgart, Urt. v. 16.9.2010 – 7 U 105/10
Sachverhalt
Die Kl. klagt gegen die Bekl. als Kaskoversicherer eines Pkw auf Grund eines Sicherungsscheines, den ihr die Bekl. nach Erklärung des Versicherungsnehmers R S im Februar 2008 erteilt hat. Darin heißt es:
"1. Eine Entschädigung aus der Fahrzeugversicherung für das vorgenannte Fahrzeug wird, wenn sie 250,00 EUR übersteigt, ohne Ihre schriftliche Zustimmung nicht an den Versicherungsnehmer, sondern an Sie gezahlt. …"
4. Leistungen gem. Ziff. 1 oder 3 erfolgen höchstens bis zu dem von Ihnen angegebenen Betrag, den der Versicherungsnehmer noch schuldet.“
Nachdem der Versicherungsnehmer sowohl Anfang Mai 2008 als auch Anfang Januar 2009 einen Unfall mit dem versicherten Fahrzeug hatte, ließ er das Fahrzeug jeweils reparieren und trat die Versicherungsansprüche an die Werkstatt ab. Die Bitte der Bekl. mitzuteilen, wohin die Versicherungsleistung gezahlt werden solle, blieb unbeantwortet. Dennoch zahlte die Bekl. die Versicherungsleistung i.H.v. insg. 5.590,24 EUR direkt an die Werkstatt aus.
Eine direkte Vertragsbeziehung zum Versicherungsnehmer hat die Kl. nicht. Das Fahrzeug wurde vielmehr im September 2006 von der E GmbH an die EC und sodann von dieser an den Versicherungsnehmer weitervermietet, wobei die EC dem Versicherungsnehmer eine Kaufoption zum Ende der Mietdauer einräumte. Im Juli 2007 übernahm die Kl. den Mietvertrag zwischen der E GmbH und der EC durch Vertrag mit der E GmbH unter Zustimmung der EC.
Nachdem die EC ab 1.1.2008 mit zwei Mietraten in Rückstand geraten war, kündigte die Kl. ihr mit Schreiben vom 19.3.2009 den Mietvertrag und forderte die Herausgabe des Fahrzeugs. Über das Vermögen der EC wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet. Auch den Versicherungsnehmer forderte die Kl. zur Rückgabe des Fahrzeugs auf, wobei streitig ist, ob diese Aufforderung bereits vor oder erst nach den Schadensereignissen erfolgte. Der Versicherungsnehmer kam der Aufforderung jedenfalls nicht nach. Das Fahrzeug befindet sich weiterhin bei ihm.
2 Aus den Gründen:
"… Die Klage ist auch begründet."
1. Die Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Zahlung der Versicherungsleistungen aus den Unfällen vom Mai 2008 und Januar 2009 i.H.v. insg. 5.590,24 EUR aus § 12 Nr. 1 II e) AKB i.V.m. dem Versicherungsvertrag des Versicherungsnehmers mit der Bekl. i.V.m. Nr. 1 des Sicherungsscheins vom 25.2.2008.
a) Als über den Versicherungsschein i.S.e. versicherten Person einbezogene Dritte ist die Kl. Anspruchsberechtigte der Versicherungsleistung nach § 75 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. / § 44 Abs. 1 S. 1 VVG n.F. …
Der Versicherungsnehmer hat den Versicherungsvertrag zwar nicht bereits bei Abschluss für Rechnung der Kl. geschlossen. Durch Annahme des auf seine Erklärung ausgestellten Sicherungsscheins der Bekl. vom 25.2.2008 wurde das zunächst allein zwischen dem Versicherungsnehmer und der Bekl. geschlossene Versicherungsverhältnis aber derart umgestaltet, dass es zu einem Versicherungsverhältnis für fremde Rechnung i.S.d. §§ 74 ff. VVG a.F. / §§ 43 ff. VVG n.F. wurde …
b) Der Anspruch ist auch nicht untergegangen. An die Kl. (§ 362 Abs. 1 BGB) hat die Bekl. nicht geleistet.
Der Anspruch ist aber auch nicht nach § 362 Abs. 2 BGB durch Leistung an die Reparaturwerkstatt untergegangen, der der Versicherungsnehmer etwaige Ansprüche auf Zahlung der Versicherungsleistung abgetreten hat.
Eine Erlaubnis oder Genehmigung zur Abtretung i.S.d. § 185 BGB hat die Kl. nicht erteilt. Der Versicherungsnehmer R. S. war jedoch auch nach § 76 Abs. 1 VVG a.F. / § 45 Abs. 1 VVG n.F. nicht zur Abtretung der Rechte auf Zahlung der Versicherungsleistung berechtigt, sodass die Bekl. nicht mit befreiender Wirkung an die Werkstatt leisten konnte. Grundsätzlich ist der Versicherungsnehmer zwar nach § 76 Abs. 1, Abs. 2 VVG a.F. / § 45 Abs. 1, Abs. 2 VVG n.F. auch dann zur Verfügung über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag berechtigt, wenn die Versicherung für fremde Rechnung abgeschlossen ist. Trotz des grundsätzlichen Verfügungsrechts des Versicherungsnehmers soll er aber den Versicherungsanspruch schon nicht abtreten können, da er nicht Forderungsinhaber ist (Römer/Langheit, VVG, 2. Aufl. 2003, §§ 75, 76 Rn 3). Mit der Erteilung des Versicherungsscheins an die Kl. haben die Beteiligten die §§ 75 Abs. 2, 76 Abs. 1 und 2 VVG a.F. / §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 1, Abs. 2 VVG ...