Prof. Dr. Roland Rixecker
VVG § 28 Abs.1, 2; AKB 2008 E 1.3
Leitsatz
Der Versicherungsnehmer verletzt seine Aufklärungsobliegenheit mit der Folge von Leistungsfreiheit vorsätzlich, wenn er die Frage des Versicherers nach dem Alkoholgenuss des Fahrers des verunfallten Pkw nicht beantwortet.
LG Paderborn, Urt. v. 25.8.2010 – 4 O 96/10
Sachverhalt
Der Ehemann der Versicherungsnehmerin verursachte am 5.7.2009 einen Unfall mit dem bei der Bekl. vollkaskoversicherten Pkw, für den er lediglich auch über Fahrzeugschlüssel verfügte. Nach dem Unfall entfernte er sich vom Unfallort. Mehrfache Fragen der Bekl. zum Alkoholgenuss – ihr Ehemann hatte vor Antritt der Fahrt in Gegenwart der Kl. Alkohol unklaren Maßes getrunken und sich dann im Streit den Pkw genommen – beantwortete die Kl. nicht.
2 Aus den Gründen:
" … Denn jedenfalls ist die Einstandspflicht der Bekl. ausgeschlossen, weil die Kl. vorsätzlich Obliegenheiten aus dem Kaskoversicherungsvertrag gem. E.1.3, E.5.1. AVB i.V.m. §§ 28, 31 VVG verletzt hat."
Gem. E.5.1 AVB wird die Bekl. als Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer eine von ihm zu erfüllende vertragliche Obliegenheit vorsätzlich verletzt, was der Regelung des § 28 Abs. 2 S. 1 VVG entspricht. Diese vertragliche Obliegenheit bestand gem. E.1.3 AVB in der Verpflichtung, dem Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalles jede Auskunft zu erteilen, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist, was inhaltlich der Vorschrift des § 31 Abs. 1 S. 1 VVG entspricht …
Denn jedenfalls hat sie eine Obliegenheitsverletzung begangen, indem sie die Fragen der Bekl. zum Alkoholkonsum ihres Ehemanns in der Schadensanzeige nicht beantwortete und später der Bekl. auf deren Schreiben vom 4.8.2009, in welchem sie erneut nach dem Alkoholkonsum ihres Ehemannes gefragt wurde, bewusst keine Antwort gab.
Auch die Nichtbeantwortung einer Frage ist regelmäßig eine Obliegenheitsverletzung (Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., AKB E.1 Rn 15). Diese führt jedenfalls dann zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn sich der Versicherungsnehmer weigert, Auskünfte zu erteilen … Dabei kann die Nichtbeantwortung nur dann eine Obliegenheitsverletzung darstellen, wenn die Beantwortung einer Frage wegen Kenntnis der Versicherungsnehmerin möglich gewesen wäre.
So liegt der Fall hier. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kl. von der Alkoholisierung ihres Mannes positive Kenntnis hatte und die Fragen der Bekl. nach einem Alkoholkonsum des Fahrers trotz dieser Kenntnis vorsätzlich nicht beantwortet hat …
Auf die Folge, dass bei einer derartigen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehenden Obliegenheitsverletzung der Kl. die Bekl. leistungsfrei wird, hat die Bekl. die Kl. im Formular der Schadensmitteilung auch ordnungsgemäß hingewiesen. Dieser Hinweis genügt nach Auffassung der Kammer den Anforderungen des § 28 Abs. 4 VVG.
Der Hinweis ist in dem Formular enthalten. Zwar setzt § 28 Abs. 4 VVG eine “gesonderte Mitteilung‘ voraus. Nach Sinn und Zweck der Regelung reicht ein Hinweis im Schadensanzeigeformular jedoch regelmäßig aus, da ein gesondertes Schriftstück Beweisschwierigkeiten auslösen und der Warnfunktion nicht besser dienen würde (Prölss/Martin, § 28 VVG, Rn 154).
Der Hinweis ist auch ausreichend hervorgehoben. Denn er ist drucktechnisch eingerückt, befindet sich abgesetzt unterhalb des Kastens und das Wort “Belehrung‘ ist im Fettdruck hervorgehoben.“
3 Anmerkung
Die Entscheidung ist wegen der Frage von Interesse, die sie nicht stellt. Was wäre eigentlich gewesen, wenn die Versicherungsnehmerin wahrheitsgemäß geantwortet hätte, ihr Ehemann habe vor Antritt der Fahrt erheblich Alkohol zu sich genommen?
Der Versicherer hätte die Entschädigung dennoch leisten müssen,
- weil der Ehemann der Versicherungsnehmerin nicht ihr Repräsentant war (er nutzte den Pkw nur immer wieder), ihr seine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls also nicht zuzurechnen war,
- und weil er den Pkw ohne ihr Einverständnis genutzt hatte (wie die Entscheidung unterstellt), sie also den Versicherungsfall nicht selbst grob fahrlässig herbeigeführt hat.
Allerdings oblag der Kl. (auch) die Mitwirkungsobliegenheit des § 86 Abs. 2 S. 1 VVG in Bezug auf die Feststellung und Durchsetzung eines Regressanspruchs gegen ihren Ehemann. Jedoch hätte der Versicherer auch bei Auskunftserteilung nicht auf andere Weise Regress nehmen können. Denn nach § 86 Abs. 3 VVG durfte er einen auf ihn übergegangenen Schadensersatzanspruch der Kl. nur gegen deren Ehemann geltend machen, wenn dieser den Versicherungsfall (Unfall) vorsätzlich herbeigeführt gehabt hätte – was trotz erheblichen Alkoholgenusses fern liegt. Was folgt daraus? Das Schweigen der Versicherungsnehmerin hatte also weder Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder seiner Leistungspflicht noch auf einen etwaigen Rückgriff. Die Versicherungsnehmerin hätte insoweit unschwer den nach § 28 Abs. 3 VVG auch bei Vorsatz zulässigen Kausalitätsgegenbeweis führen können.