AUB § 2 I. (1)
Leitsatz
Für die Annahme einer Bewusstseinsstörung genügt, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen, die eine gebotene und erforderliche Reaktion der versicherten Person auf eine vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.8.2012 – 4 U 218/11
Sachverhalt
Die Kl. verlangt eine Invaliditätsentschädigung wegen eines in der Nacht vom 16.7.2004 auf den 17.7.2004 erlittenen, ihre Wirbelsäule erheblich schädigenden Unfalls. Zu dem Unfall – einem Sturz aus ihrem Schlafzimmerfenster – war es gekommen, nachdem die Kl. nach ihren Angaben aufgrund einer Synkope aus ihrem Bett gefallen und in dem Glauben, frische Luft täte ihr gut, aus dem geöffneten Fenster gestürzt war.
2 Aus den Gründen:
" … Die Kl. hat gegen die Bekl. keinen Anspruch aus der Unfallversicherung Nr … aufgrund des Fenstersturzes am 16.7.2004. Dabei kann dahingestellt bleiben, welche langfristigen Folgen im Einzelnen durch den Unfall verursacht worden sind. Denn ein Anspruch gegen die Bekl. ist schon dem Grunde nach ausgeschlossen."
Gem. § 2 I. (1) der AUB der Bekl. fallen Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen nicht unter den Versicherungsschutz. So liegt es auch hier: Schon aus dem eigenen Vortrag der Kl. ergibt sich, dass sie wegen einer Bewusstseinsstörung aus dem Schlafzimmerfenster gestürzt ist.
Eine Bewusstseinsstörung i.S.d. Ausschlussklausel setzt nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraus, es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen, die also den Versicherten außer Stande setzen, den Sicherheitsanforderungen seiner Umwelt zu genügen. Ob eine Bewusstseinsstörung in diesem Sinne vorgelegen hat, hängt damit sowohl vom Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit als auch von der konkreten Gefahrenlage ab, in der sich die Kl. als Versicherte befunden hat. Um dies zu beurteilen ist eine fallbezogene Betrachtung erforderlich. Dabei ist eine Bewusstseinsstörung im vorbeschriebenen Sinne nicht von vornherein dadurch ausgeschlossen, dass der entsprechende Zustand nur einige Sekunden gedauert hat. Denn auch eine solche nur kurzzeitige gesundheitsbedingte Störung der Aufnahme- und Gegenwirkungsmöglichkeit kann geeignet sein, dem Versicherten die Fähigkeit zu nehmen, die konkrete Gefahrenlage, in der er sich befindet, zu beherrschen (BGH NJW 2008, 3644 Rn 3; OLG Hamm RuS 2009, 30 Rn 41 f.). Damit ist unter einer Bewusstseinsstörung auch eine kurzfristig aufgetretene gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine gebotene und erforderliche Reaktion auf eine Gefahrenlage nicht mehr zulässt, zu verstehen, wie eine vorübergehende Kreislaufreaktion (“Schwarz vor Augen werden’) oder ein plötzlicher Schwindelanfall (OLG Hamburg RuS 2007, 386). Ob hiernach eine Bewusstseinsstörung vorliegt, ist aus dem Verhalten des Versicherten vor dem Unfall, seiner allgemeinen konstitutionellen Veranlagung und auch aus dem Unfallhergang selbst zu folgern (vgl. Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 28. Aufl. 2010, Nr. 5 AUB 2008 Rn 7).
Die Kl. hat selber vorgetragen, dass sie in der Nacht vom 16.7.2004 auf den 17.7.2004 aufgrund der wetterbedingten Hitze im Bett aufgewacht sei, Übelkeit verspürt und sich benommen gefühlt habe. Sie habe sich dann entschlossen, an das lediglich gekippte Fenster zu gehen, um es zu öffnen. Was nach dem Öffnen des Fensters passiert sei, wisse sie nicht mehr.
Nach diesem Vortrag der Kl. ist der Senat davon überzeugt, dass sie aufgrund einer Kreislaufschwäche oder eines plötzlichen Schwindelanfalls aus dem Fenster gestürzt ist. Dabei kann der Senat unterstellen, dass die Kl. dem Gutachter T. nicht gesagt hat, dass sie eine Synkope erlitten habe und dann auf die Straße gefallen sei. Auch kann der Senat dahingestellt lassen, ob die Kl. tatsächlich eine Synkope im medizinischen Sinne erlitten hat und ob bei der Kl. zuvor entsprechende Fälle aufgetreten sind. Jedenfalls steht für den Senat schon nach den eigenen Angaben der Kl. fest, dass sie einen – kurzzeitigen – Verlust der Haltungskontrolle erlitten hat und deshalb zu Fall gekommen ist.
Ein anderer Grund für den Sturz wird von der Kl. nicht genannt. Sie trägt im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast (vgl. OLG Hamburg RuS 2007, 386; OLG Hamm RuS 2009, 30) auch keine Umstände vor, die eine äußere Ursache für den Sturz plausibel erscheinen lassen. Vielmehr ist es einzig lebensnah, dass die Kl. wegen kurzzeitiger Kreislaufprobleme aus dem Schlafzimmerfenster gefallen ist. Denn abgesehen davon, dass eine andere Ursache weder vorgetragen noch ersichtlich ist, trägt die Kl. selber vor, dass ihr übel gewesen sei und sie sich benommen gefühlt habe. Ihr augenblicklicher Körperzustand war demnach schon beeinträchtigt und der Grund dafür, dass sie frische Luft in das Schlafzimmer lassen wollte. Auch wenn sie nicht aus dem Bett gefallen sein sollte, spricht dies deutlich...